Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
hier aufgewachsen? Sie schüttelte den Kopf. Die Missionsstation Simbang war doch erst vor fünf Jahren gegründet worden. Kurz nachdem in Kaiser-Wilhelms-Land die deutsche Flagge gehisst worden war.
Sie runzelte die Stirn. An Noahs Geschichte konnte etwas nicht stimmen.
4.
Es war heiß. So heiß, dass Isabel unter ihrer hochgeschlossenen Bluse der Schweiß lief und sie befürchtete, sie könne unangenehm riechen. Das Korsett klebte ihr am Leib, dabei hatte sie die Schnüre gar nicht sonderlich fest gezogen. Einzig die leichte Brise, die vom Meer heranwehte, machte die Hitze ein wenig erträglicher. Isabel fühlte sich erstaunlich wohl – und das trotz ihrer nächtlichen Malariaattacke. Sie saß zusammen mit den drei Brüdern der Missionsstation Simbang an einem einfachen Tisch in dem Pfahlhaus, das ihnen als Gemeinschaftsraum diente, vor sich die Reste des von Sabiam zubereiteten Mittagessens. Obwohl es an Salz fehlte, hatten der frische, über offenem Feuer gegrillte Fisch und die gerösteten Taroknollen vorzüglich geschmeckt.
Isabel strich sich eine verschwitzte Haarsträhne, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte, hinter das Ohr. Heute hatte sie auch Bruder Schwarz kennengelernt, einen ebenfalls langbärtigen Mann mittleren Alters, dem das hellbraune Haar am Kopf klebte und der reichlich grimmig dreinschaute. Gerade erging er sich über zwei jüngere Kostschüler, die seiner Meinung nach zu faul waren.
»Die beiden sind noch jung«, warf Bruder Lorenz ein. »Gib ihnen Zeit, dann werden sie schon anfangen zu lernen.«
Die Kostschule war Bruder Lorenz’ Herzenskind. Um die frohe Botschaft unter ihren »braunen Landsleuten«, wie er sie nannte, zu verbreiten, sei es wichtig, bei der Jugend anzusetzen. Er hoffte darauf, nicht nur die Kinder von Simbang zu erreichen, sondern auch die weiter abgelegen lebenden. Zu diesem Zweck hatte er neben dem Schulsaal einen Wohnflügel erbauen lassen, in dem bis zu dreißig Knaben wohnen und schlafen konnten, damit sie nicht jeden Tag den weiten Weg bis in ihre Dörfer zurücklegen mussten.
Anfangs sei es schwer gewesen. »Die ersten Schüler, die wir hier hatten, wollten bezahlt werden dafür, dass sie in die Schule gingen«, erinnerte er sich. »Und als sie merkten, dass sie nichts bekamen, verschwanden sie wieder.«
»Ich weiß noch«, fiel Bruder Laumer lächelnd ein, »wie wir einmal in ein Dorf gingen, um die Kinder zur Schule zu führen. Aber sobald wir vorne zur Tür hineintraten, huschten sie hinten unterm Dach wieder hinaus.«
Auch Isabel lächelte.
»Erst im vergangenen Jahr hat sich das geändert«, fuhr Bruder Lorenz fort. »Eines Tages erschienen nämlich gleich fünfzehn Knaben auf einmal bei uns und erklärten, sie wollten zum Lernen und zum Arbeiten bleiben. Sie kamen aus den südlichen Küstendörfern, die wir in den vergangenen Monaten mehrmals besucht hatten, und konnten daher nicht täglich nach Hause gehen. Sie können sich vorstellen, Schwester Maritz, was für eine Freude das für uns war! Endlich hatten wir eine reguläre Schulklasse, und ich muss sagen, dass sich die Knaben wirklich gut entwickeln. Jetzt haben wir zudem ein paar junge Zöglinge, die uns für verschiedene Hilfsdienste zur Verfügung stehen, und müssen nicht jedes Mal im Dorf betteln, wenn wir einen Boten oder Träger brauchen. Und die Schüler lernen nicht nur etwas und erfahren die frohe Botschaft, sondern haben auch Gelegenheit, sich am Nachmittag etwas zu verdienen.«
»Dann zahlen Sie ihnen doch etwas?«
»Kein Geld. Aber man kann ihnen die größte Freude mit einem Stück Metall machen. Wir haben eine ganze Sammlung von Hobeleisen und ausgewalztem Bandeisen, aus denen sie dann nützliche Geräte herstellen. Bis vor kurzem kannten unsere braunen Freunde nämlich kein Metallhandwerk, aber nun sind sie ganz versessen auf Eisen. Sie haben schnell gelernt, dass Äxte oder Messer aus Eisen besser schneiden als solche aus Stein. Ein Gewinn also für beide Seiten. Die Kinder erhalten Eisen, wenn sie zur Schule kommen, und wir können ihnen Gottes Wort vermitteln. Inzwischen hat sich diese Praxis herumgesprochen, so dass wir jetzt vierundzwanzig Schüler haben, von denen sich die meisten für zehn Monate verpflichtet haben. Jeffari und Sabiam gehören zu ihren.«
»In welcher Sprache unterrichten Sie?«
»Auf Jabim«, erklärte Bruder Lorenz mit einem etwas schiefen Lächeln. »So gut es eben geht. Wir haben zwar die Hoffnung, dass wir ihnen irgendwann einmal unsere
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