Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
erschöpft. Erschöpft und mutlos. Langsam ließ sie sich auf einem der Stühle der Veranda nieder. Alle drei Möbelstücke wiesen Nage-und Knabberspuren auf – vermutlich hatte Koki sich hier ausgetobt.
Als hätten ihre Gedanken ihn gerufen, erklang schon bald »Isa, Isa!« von irgendwoher, und »CoooRRRad!«. Dann landete der weiße Kakadu auf der Lehne des freien Bambusstuhls und lief dort hin und her, während er immer wieder kreischte und zu ihr hinübersah.
Diesmal behielt Isabel ihre Hand bei sich. Das heisere Kreischen tat ihr in den Ohren weh, dennoch beugte sie sich vor und sah das Tier an.
»Nun, Koki, was meinst du: Ob wir wohl Freunde werden?«
Offenbar war der Vogel nicht davon überzeugt, denn nach einigen Minuten des gegenseitigen Taxierens flog er unter lautem Gekreisch davon, setzte sich in eine Palme und begann, einen ohnehin schon ausgefransten Wedel zu zerrupfen.
Isabel lehnte sich zurück. Noch immer fühlte sie sich unwohl, ein leichter Schauer kroch wie mit Spinnenbeinen über ihre Haut, sie fröstelte. Wann hatte sie eigentlich das letzte Mal Chinin genommen?
Aber sie fühlte sich gar nicht fiebrig, ganz im Gegenteil – ihr war auf einmal richtiggehend kalt. Entsetzlich kalt. Das konnte doch gar nicht sein, es war sicher über dreißig Grad im Schatten! Dennoch hatte sie plötzlich das Gefühl, als würde sie von Kopf bis Fuß in Eiswasser sitzen. Nur mühsam gelang es ihr aufzustehen. Ihr war schwindelig, und als sie von der Veranda zurück ins Innere der Hütte trat, wurde ihr schwarz vor Augen. Sie versuchte noch, sich am Schreibtisch festzuhalten, dann kam ihr auch schon der Boden entgegen.
Sie erwachte auf dem Fußboden, ein paar lose Fasern des Mattengeflechts stachen in ihre Wange. Ihr Kopf glühte, aber ihre Glieder zitterten vor Kälte, und in ihrem Mund war ein bitterer Geschmack. War sie tatsächlich ohnmächtig geworden?
Das Korsett war aber auch viel zu eng geschnürt! Sie versuchte, sich aufzusetzen, aber es dauerte, bis es ihr endlich gelang. Und noch länger dauerte es, bis sie mit bebenden Händen ihre Bluse aufgeknöpft und die Schleifen und Haken an ihrem Korsett gelöst hatte. Ihr Brustkorb dehnte sich, und erneut überfiel sie Schwindel. Ein paar Atemzüge lang blieb sie noch auf den Grasmatten sitzen, dann kämpfte sie sich hoch und wankte ins Schlafzimmer, wo sie sich, halb angekleidet wie sie war, auf das Bett legte, mit Mühe das fadenscheinige Moskitonetz drapierte und dann die leicht muffig riechende Leinendecke über sich zog.
Nur einen Augenblick. Sie würde nur einen Augenblick hier liegen bleiben, dann ginge es ihr bestimmt gleich wieder besser.
Die Kälte kroch in ihren Körper und breitete sich dort aus. Ihre Zähne klapperten, obwohl sie sie zusammenbiss, sie fühlte sich hundeelend und fror und bebte unter der Decke, wie sie noch nie zuvor gefroren hatte. Aber sie musste aufstehen und sich frisch machen. Die Missionsbrüder erwarteten sie doch zum Essen …
Nach dem Zittern kam das Schwitzen. Hatte sie sich eben noch frierend in die Decke gehüllt, so warf sie sie bald von sich, als Hitze in ihre Glieder schoss und ein heftiger Schweißausbruch ihren Körper badete. Ihre Haut schien zu verbrennen, alles an ihr war heiß und fiebrig. Und zum ersten Mal, seit sie in dieses Land gekommen war, sehnte sie sich nach ihrer Mutter, nach einer ihrer Schwestern oder sonst einem vertrauten Menschen, der ihr über die Stirn strich und beruhigende Worte zu ihr sprach.
Doch niemand war hier. Sie war allein. Krank und einsam in einem fremden Land. Sie hätte gern geweint, aber sogar dazu war sie zu erschöpft. Nur schlafen wollte sie, nur schlafen …
Sie schreckte auf. Es war Nacht geworden, die Zikaden sangen, und der milde Schein einer Petroleumlampe beleuchtete die Umrisse des bärtigen Mannes, der leise im Zimmer umherging.
»Bruder Lorenz, sind Sie das?«, murmelte sie. »Was ist …?«
»Sprechen Sie nicht, Schwester Maritz. Sie müssen sich nur ausruhen, dann geht es Ihnen bald wieder besser.«
»Was … fehlt mir denn?«
»Es ist das Wechselfieber«, sagte er. Durch das Moskitonetz konnte sie ihn kaum erkennen. »Verursacht durch die ungesunden Dünste, die hier aus den Sümpfen aufsteigen. Wussten Sie, dass es deswegen Malaria heißt? Von mala aria , der schlechten Luft. Seien Sie froh, dass es Sie so früh erwischt hat.«
»Froh?«, wiederholte Isabel schwach.
»So ist es. Es heißt, je früher das Fieber kommt, desto schwächer wird es
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