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Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Titel: Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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– bis sie vertraute Worte vernahm. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte sie gelächelt: Noahs »magische Worte« waren nichts anderes als das deutsche Vaterunser. Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, nicht einzustimmen in das ihr seit frühester Kindheit geläufige Gebet.
    »Vater unser, der du bist im Himmel, geheiliget werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.«
    Er öffnete die Dose. Es waren nicht mehr viele Streichhölzer darin, vielleicht noch fünf oder sechs Stück, wie Isabel erkannte. Vorsichtig entnahm er eines und strich mit dem Kopf des Hölzchens über einen dickeren Zweig.
    Ein winziger Funken glomm auf, dann verlöschte er wieder.
    Noah griff nach einem neuen Hölzchen.
    »Unser täglich Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.«
    Er sprach immer schneller. Erneut strich er mit dem Hölzchen über den Zweig.
    Nichts geschah.
    Isabel schluckte schwer. Wieso klappte es denn nicht? Waren die Hölzer womöglich trotz der gut verschlossenen Dose bei ihrem unfreiwilligen Bad nass geworden? Aber nein, gestern hatte es doch auch noch funktioniert! Sie spürte, wie sich Korua-Koltas Arm um ihre Taille legte, und wollte vor ihm zurückweichen, aber er hielt sie fest und drückte sie gegen seinen mächtigen Schenkel.
    »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.«
    Das nächste Hölzchen. Wie viele waren jetzt noch übrig? Isabel sah, dass Noahs Hand leicht zitterte, als er abermals hastig über den Zweig strich. Ein leises Knacken ertönte, als das Hölzchen zerbrach – und wieder keine Flamme erzeugte. Schweiß tropfte von Noahs Stirn.
    Auch Isabel war in Schweiß gebadet. »Langsamer«, murmelte sie. »Mach es langsamer.«
    Er nickte fast unmerkbar. »Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.«
    Der Kopf des Zündholzes war noch unversehrt; Noah nahm das nur noch knapp zwei Zentimeter lange Hölzchen auf und strich erneut über den Zweig, diesmal behutsamer.
    Mit einem leisen Zischen loderte der Zündkopf auf. Ein erschrockenes Raunen durchlief die versammelten Donowai, Isabel spürte, wie Korua-Kolta zusammenzuckte. Noah hielt das brennende Hölzchen an die aufgeschichteten Zweige. Die Flamme loderte bedrohlich nah an seinen Fingerspitzen, aber er ließ das Hölzchen erst los, als der kleine Stapel Feuer gefangen hatte und die trockenen Gräser und Zweige anfingen zu brennen.
    Der Kreis von Männern war ein Stück zurückgewichen. In den wilden, dunklen Gesichtern glaubte Isabel heilige Scheu zu sehen, einige von ihnen machten fremdartige Gesten.
    Korua-Kolta ließ Isabel los und erhob sich.
    Sie holte ein kleines bisschen Luft. Die Gefahr war noch lange nicht ausgestanden, aber ihre Situation war vielleicht nicht mehr ganz so heikel wie gerade eben noch.
    »Sind wir frei? Können wir gehen? Bitte, Noah, sag, dass wir gehen –«
    Ein mächtiger dunkelbrauner Fuß trat in die Flammen und löschte sie. Korua-Koltas Fußsohlen mussten eine dicke Hornschicht haben, oder er schien keine Schmerzen zu kennen. Mit heiserer Stimme bellte er einige Worte, die sowohl an Noah als auch an die Donowai gerichtet waren. Dann deutete er auf den seltsamen Bau, der sich am Dorfrand erhob und der Isabel entfernt an den Turm des Herrn Eiffel erinnerte, der anlässlich der letztjährigen Weltausstellung in Paris erbaut worden war.
    Der Kreis wurde wieder enger, die Gesichter der Wilden zeigten einen Ausdruck von Vorfreude. Erneut schoss kalte Angst durch Isabels Adern. »Was hat er gesagt?«
    Noah sah mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck zu dem Turm. »Ich glaube«, gab er zurück, »er hat mich gerade zu einem Wettkampf herausgefordert.«
    *
    Der Turm war an die dreißig Meter hoch, schätzte Noah, und kunstvoll aus hölzernen Balken, Ästen und Ranken an einem Abhang erbaut. In unregelmäßigen Abständen ragten schmale Plattformen, von denen lange Lianenseile bis fast zum Boden hingen, aus dem Gerüst. Ein kraftvoller Gesang schwoll an, drang hoch hinauf bis dorthin, wo sich Korua-Koltas massige Umrisse dunkel vor dem tiefblauen Himmel abhoben. Er stand auf einer der Plattformen im oberen Drittel des Turms, hatte allen Schmuck abgenommen und war jetzt nur noch mit einem kurzen Lendentuch bekleidet. Um beide Fußknöchel waren Lianen gebunden. In getrennten Gruppen sangen die Männer und Frauen der Donowai und stampften mit den Füßen, Staub

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