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Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Titel: Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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erschreckend weit weg. Beim Aufstieg hatte er nicht auf die Höhe geachtet, aber nun, auf der schmalen, nur aus ein paar zusammengebundenen Balken bestehenden Plattform, schienen seine Beine plötzlich aus Gelee zu bestehen. Jetzt wusste er, warum Korua-Kolta nicht von hier oben gesprungen war: Es war zu hoch! Es war viel zu hoch!
    Er kniete sich nieder, um die Ranken, die hier befestigt waren, mit beiden Händen hochzuziehen und zu prüfen. Sie waren noch leicht feucht, wenn auch nicht mehr frisch – er hatte keine Ahnung, ob sie ihn aus dieser Höhe halten würden.
    Aber er hatte ohnehin keine Wahl.
    Als er sich die Lianen um die Fußknöchel band und die Knoten festzog, merkte er, dass seine Hände zitterten. Vorsichtig richtete er sich wieder auf, unter seinen Fußsohlen spürte er das warme Holz der Plattform. Hinter ihm hingen die Pflanzenseile in langen Schleifen.
    Heiß pumpte es durch seine Adern, sein Herz schlug laut und schmerzhaft, in seinem Magen saß ein Knoten. Was er vorhatte, war vollkommen verrückt. Wie konnte man nur aus einer solchen Höhe springen, lediglich mit zwei Lianen gesichert? Er versuchte, nicht daran zu denken, was alles schiefgehen konnte, aber es gelang ihm nicht. Er würde falsch springen und gegen den Turm geschleudert werden. Die Pflanzenfasern würden reißen. Er würde kopfüber auf dem Boden aufschlagen und sich das Genick brechen.
    Alle Blicke waren auf ihn gerichtet, auf den »Mann, der Feuer schafft«, wie sie ihn vorhin genannt hatten. Aber anders als bei Korua-Kolta sang und tanzte niemand für ihn. Dort unten, abseits der Frauen in ihren knielangen Baströckchen, sah er Isabel. So laut und deutlich er es vermochte, sprach er ein paar kurze Sätze auf Kâte. Hoffentlich verstand man ihn. Er konnte Isabels fragenden Blick nur ahnen. Was er gesagt hatte, würde er ihr hoffentlich gleich selbst übersetzen können. Sofern er das hier überlebte.
    Langsam trat er vor, bis er unter seinen Zehen die Kante der Plattform spürte. Er richtete den Blick auf die Baumwipfel am Horizont, holte tief Luft, dann kreuzte er die Arme vor der Brust und stieß sich mit beiden Beinen ab.
    *
    Niemand schrie, als Noah sprang. Auch Isabel hielt die Luft an, presste die Zähne fest zusammen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.
    Für einen Moment schien er zu schweben, dann fiel er. Die Lianen, von denen das eine Ende um seine Knöchel gebunden war und das andere an die Plattform, flatterten im Wind. Sein Sturz zog sich endlos in die Länge, die Zeit schien sich zu dehnen wie in einem bizarren Traum. Schließlich gab es ein hässliches, magenumdrehendes Geräusch, als sich die Lianen wenige Meter über dem Boden strafften – und rissen! Noah schlug hart auf der aufgelockerten Erde auf und blieb bewegungslos liegen.
    Isabel war vollkommen unfähig, sich zu rühren, konnte nur wie gelähmt vor Schreck mit ansehen, wie drei Männer zu ihm liefen. Würden sie ihn jetzt auch schütteln und an seinen Haaren reißen wie bei Korua-Kolta? Sie wollte etwas sagen, rufen, schreien, um sie daran zu hindern, doch kein Laut kam aus ihrer Kehle. Wenn Noah sich am Kopf oder der Wirbelsäule verletzt hatte, würden sie den Schaden damit nur verschlimmern! Oder war er gar …
    Doch kurz bevor der Erste ihn erreicht hatte, sprang Noah auf die Füße und stieß einen wilden Freudenschrei aus. Isabel starrte ihn fassungslos an, während die Erkenntnis langsam zu ihr durchdrang: Er war unverletzt! Ihr war plötzlich entsetzlich schwindelig, es fühlte sich an, als würden alle ihre Knochen schmelzen.
    Die Donowai drängten sich um Noah, schienen ihn zu beglückwünschen und ihn immer wieder anfassen zu wollen. Lachen und lautes Reden erklang. Von der feindseligen Stimmung, die ihnen bis vor kurzem entgegengeschlagen war, war nichts mehr zu spüren. Auch Isabels Bewacher hatte sie stehengelassen und sich unter die jubelnde Menge gemischt. Sie wurde nach vorne geschoben, hin zu Noah.
    Seine Haut glänzte vor Schweiß oder Öl, überall hafteten Spuren von Sand und Erde. »Hast du es gesehen?«, rief er ihr zu, als er sie erblickte. »Hast du gesehen, wie ich gesprungen bin?« So überdreht hatte sie ihn noch nie erlebt, er wirkte, als wäre er betrunken. Nein, nicht betrunken, nur berauscht, euphorisch und voller Überschwang.
    Isabel dagegen fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht. »Ja, das habe ich. Du warst großartig!« Sie fürchtete, ihre Beine würden gleich unter ihr nachgeben. Am liebsten hätte sie

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