Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
Bastrock, die geflochtenen Bänder kratzten an ihren Armen, Sand und Erde setzte sich zwischen ihre nackten Zehen. Ihre leichten Schnürstiefel hatte sie nicht wieder anziehen dürfen. Das feine Leder hatte ohnehin stark gelitten und löste sich in diesem feuchtheißen Klima allmählich auf.
Auf dem Platz in der Mitte des Dorfes brannten einige Fackeln. Vor einer Fläche, die mit ein paar geflochtenen Matten ausgelegt worden war, saß der Häuptling auf seinem Thron, umgeben von seinen Gefolgsleuten. Die wilden, eberzahngeschmückten Gesichter sahen im flackernden Feuerschein noch furchterregender aus als bei Tag. Viele kauten, Isabel sah Münder, rot von Betel. Auch einige halbwüchsige Jungen waren darunter.
Die Frauen ließen Isabel vor dem Häuptling stehen und setzten sich hinter die Männer, in zweiter Reihe. Die Trommeln wurden lauter. Sie atmete auf, als sie Noah erblickte. Er saß bei den Donowai, aber jetzt erhob er sich und kam langsam auf sie zu. Der Schmuck aus geflochtenen Armbändern und Bambusketten, mit dem man auch ihn ausstaffiert hatte, wirkte bei ihm weitaus passender als bei ihr, fand Isabel.
Sie lächelte ihn unsicher an. »Was tun sie alle hier? Was hat das zu bedeuten?«
Er lächelte nicht. Stattdessen machte er ein Gesicht, als hätte er Bauchschmerzen.
»Ich wünschte wirklich, ich könnte dir das ersparen«, sagte er leise. »Ich habe versucht, es abzuwenden, aber sie lassen nicht mit sich reden.«
»Worüber denn? Wovon sprichst du?«
»Ich habe dich zwar vor dem Häuptling gerettet, aber damit sie es anerkennen, muss ich … müssen wir …« Er stockte, und als er weitersprach, sah er sie nicht an. »Sie erwarten, dass ich mir meine Trophäe nehme. Jetzt. Hier.«
Hatte sie es nicht gleich geahnt? Im Nachhinein wunderte sie sich über sich selbst, dass sie weder in Ohnmacht fiel noch hysterisch wurde. Vermutlich hing es mit dem leichten Rausch zusammen, den die Betelnuss in ihrem Kopf erzeugte.
Sie war gar nicht wirklich hier. Sie träumte.
»Und wenn wir uns weigern?«, fragte sie in diesem Traum.
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich dienen wir ihnen dann doch noch als Festmahl.«
Natürlich schwindelte er schon wieder.
Oder doch nicht? Eigentlich sah er nicht so aus, als würde er scherzen.
Sie hörte sich reden, während ein Teil von ihr neben sich zu stehen schien. War das wirklich sie selbst, die da sprach, ganz ruhig und gefasst?
»Dann sollten wir besser tun, was sie von uns erwarten.«
*
Rhythmisches Trommeln, Froschgequake und Fackelschein erfüllten die Nacht.
»Es tut mir leid«, flüsterte Noah. »Ich wollte dir nie weh tun. Aber ich fürchte, jetzt muss ich es.«
Isabel nickte stumm. Sie lag auf den Strohmatten, ihr Herz schlug so laut und schnell, dass ihr ganzer Körper vibrierte. Um sie herum sah sie dunkle, alptraumhafte Gestalten. Aber sie träumte nicht. Das hier war die Wirklichkeit. Der kurze, wunderbare Betelrausch war verflogen. Jetzt war er also da, der Moment, vor dem sie sich schon so lange fürchtete. Aber nie, nicht einmal in ihren wildesten Phantasien, hätte sie vermutet, dass es auf diese Weise passieren würde.
Mit Noah.
In einem Kannibalendorf.
Vor aller Augen.
Noah trug keinen Schmuck mehr und war nur noch mit dem kurzen Hüfttuch bekleidet, seine Haut glänzte im Feuerschein dunkelgolden.
Am besten, sie schloss die Augen und brachte es irgendwie hinter sich. Sie presste die Lider zusammen, versuchte wie ein Kind, das sich hinter seinen Händen versteckt, alles um sie herum verschwinden zu lassen: die versammelten Donowai, den dumpfen Klang der Trommeln, den auf-und abschwellenden Singsang.
Sie erzitterte, als Noah ihren Bastrock langsam über ihre Knie schob und dabei an ihren Oberschenkeln entlangstrich. Seine Hände auf ihrer Haut schienen zu glühen. Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen, sie seufzte leise auf.
Es war nicht nur Angst, die sie zittern ließ. Es war noch etwas anderes. Ein köstliches Ziehen in ihrem Unterleib, das nach mehr verlangte. Ganz ähnlich wie vor zwei Tagen, als er sie geküsst hatte. Wie von selbst öffneten sich ihre Beine.
Noah stieß ein leises Schnauben aus und zog seine Hände zurück. »Ich kann das nicht!«
Isabel öffnete die Augen. Er kniete neben ihr, noch immer mit dem Tuch um seine Hüften, und vermied es, sie anzusehen.
Sie setzte sich auf und zog den Bastrock wieder über ihre Beine, so gut es ging. Von den Donowai kam entrüstetes Gemurmel, Korua-Kolta bellte etwas, das schon vom
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