Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
als er glaubt, jeden Moment sterben zu müssen, wird er zurückgezogen. Luft! Endlich wieder strömt Luft in seine Lungen, weitet sie schmerzhaft. Er hustet und würgt, verschwommen hört er Maarten lachen.
»Na, willst du dir immer noch anlegen mit mich, bastaard ?«
Noch immer glaubte Noah das brackige Wasser zu schmecken, das Gefühl des Ertrinkens in seiner Kehle, seinen Lungen zu spüren.
Jeroen. Er hieß tatsächlich Jeroen, genau so, wie Isabel behauptet hatte.
Und der Mann mit dem roten Bart wurde Maarten genannt. Sein – Stiefvater?
Endlich schimmerte ein wenig Klarheit durch das Dunkel seiner Vergangenheit. Jetzt, da es zu spät war.
Hell leuchtete das Feuer vor der Abenddämmerung. Glut stob auf, als einige Frauen große Steine in die Flammen legten. Die Krieger der Donowai stellten sich davor auf. Heisere Rufe ertönten, Trommelklang setzte ein, dann begannen sie mit einem rituellen Tanz.
Er war so dicht davor, endlich etwas über seine Herkunft zu erfahren! Stattdessen würde er gleich einen qualvollen Tod sterben.
Seine Sicht verschwamm, er schmeckte salzige Flüssigkeit. Ein Ton, den er nicht zurückhalten konnte, drang aus seiner Kehle, ein Winseln wie von einem getretenen Hund. Verzweifelt riss er an den Fesseln, aber es war vergeblich; die Lianen, mit denen man ihn gebunden hatte, schnitten nur noch fester in sein Fleisch.
Das unterdrückte Schluchzen der Mutter, als Maarten sie auf das Bett wirft und ihr vor den Augen ihres Sohnes Gewalt antut. Sie lässt es über sich ergehen, wie sie es schon so oft über sich hat ergehen lassen.
Seine eigene, leise Stimme, die der weinenden Mutter danach Worte ins Ohr flüstert: »Ich beschütze dich vor ihm, Mama. Ich werde ganz schnell wachsen, und dann bringe ich ihn um. Das verspreche ich dir.«
Die Trommeln wurden lauter, der Tanz wurde schneller, wilder.
Aber er hat sie nicht vor ihm beschützen können.
Ein ausgehobenes Grab im strömenden Regen.
Sie ist tot! Seine schöne, kluge, wunderbare Mutter ist tot! Und er wird auch gleich tot sein. Aber er will nicht sterben! Er ist doch erst zehn Jahre alt!
Aber obwohl alles in ihm danach schreit, kann er nicht weglaufen. Er ist wie gelähmt vor Furcht. Und er kann die Mutter doch nicht allein lassen.
Die Trommeln verstummten, die Tänzer versammelten sich vor dem Feuer. Gleich würden sie zu ihren Keulen greifen und Noah damit Arme und Beine zerschlagen.
Würgendes Entsetzen breitete sich in ihm aus. Eine unsichtbare Hand drückte ihm die Kehle zu, sein Herz schlug wie rasend. Erneut zerrte er an den Fesseln, aber es nützte nichts.
In der rasch dunkler werdenden Dämmerung hätte er die Schlange fast nicht bemerkt, die sich vor ihm durch das Gras wand. Er erkannte den gestreiften Körper mit dem eckigen Kopf: eine Todesotter. Anders als andere Schlangen reagierte eine Todesotter auf Bewegung und floh nicht vor den Menschen. Ihr Gift verursachte Krämpfe und Atemlähmungen und konnte einen ausgewachsenen Mann töten. Nicht immer, aber häufig.
In Noahs Kopf rasten die Gedanken.
Sie wollten ihn martern, um süßes Fleisch zu haben.
Das Gift einer Schlange würde sein Fleisch ungenießbar machen.
Und ihn womöglich töten.
Aber war es nicht besser, wenigstens eine geringe Chance zu haben als gar keine?
Doch dazu musste es ihm erst einmal gelingen, die Schlange anzulocken.
Er krümmte seine Zehen. Nichts passierte. Vermutlich sah die Schlange seine Füße in dem dichten Gras nicht. Seine Arme waren seitlich an seinen Körper gebunden. Er bewegte die Finger seiner rechten Hand. Die Schlange sah in seine Richtung, züngelte. Wieder wackelte er mit den Fingern. Die Schlange verharrte und glitt dann auf ihn zu.
Noahs Herz klopfte hart gegen seine Rippen. Lautlos wand sich die Todesotter neben ihm den Baumstamm hinauf, auf seine Finger zu. Als der kühle, schuppige Leib über seine Haut strich, reagierte sein Körper reflexartig auf die drohende Gefahr und erstarrte. Nein, das durfte er nicht! Mit aller Gewalt zwang er sich dazu, erneut seine Finger zu bewegen.
Die Todesotter glitt fort von ihm. Hatte sie es denn nicht gesehen? Dann, so schnell, dass er es kaum mitbekam, schoss die Schlange vor und versenkte ihre nadelspitzen Fänge in seinem rechten Handrücken.
17.
Mit langen Stäben lenkten die Träger die Kanus vorbei an den Felsen, die aus dem braun-trüben Wasser ragten, die leichte Strömung trug sie flussabwärts. Selbst auf dem Wasser war es heiß und stickig, unter dem
Weitere Kostenlose Bücher