Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
der nach Ihrem Bruder suchen wird?«
»Bis dahin ist er tot!« In Isabel stieg kalte Verzweiflung auf.
»Das ist er wahrscheinlich schon längst.« Wackernagel erhob sich von dem angeschwemmten Baumstamm, auf dem er gesessen hatte. »Diese Wilden fackeln nicht lange. Lauterbach, sagen Sie doch auch mal etwas! Sie sind schließlich der Leiter dieses ganzen Vereins.«
Lauterbach hob den Kopf, sah die Männer schweigend an. »Es ist ohnehin an der Zeit umzukehren«, sagte er schließlich. »Wir haben genug zusammengetragen, und unsere Vorräte schwinden. Wackernagel, Kunze, Sie werden mit drei Trägern, ein paar Kanus und dem größten Teil der Ausrüstung zur Herzogin Elisabeth vorausfahren. Der Rest wird mit Fräulein Maritz diese Wilden suchen und ihren Bruder befreien.«
*
Die ganze Nacht und den halben Tag hatte Noah gefesselt in einer engen Hütte zubringen müssen, wo ein stark qualmendes Feuer brannte. Jetzt hatten die Donowai ihn aufrecht an einen Baum gebunden, mit den Armen seitlich am Körper. Nach wie vor trug er nicht mehr als ein kurzes Lendentuch. Er konnte sich kaum bewegen, nur ein bisschen mit Fingern und Zehen wackeln. Sobald er den Kopf senkte, schnürte ihm eine Schlinge aus Bambusfaser die Kehle zu. Die Pfeilwunde in seinem Unterschenkel pochte. Aber das war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die ihm noch bevorstanden.
Nicht weit von der Stelle, wo man ihn festgebunden hatte, räumten einige Donowai-Männer die tiefe Erdgrube aus, in dem man das mumu zubereitete. Frauen trugen Taroknollen und Süßkartoffeln herbei sowie Arme voller Bananenblätter, in die man das Gemüse hüllen würde; Vorbereitungen für den Festschmaus. Aber diesmal würden sie kein Wildschwein dafür erlegen.
Ihm war übel, und obwohl die Hitze des Tages allmählich nachließ, war seine Haut schweißüberströmt. Abgrundtiefe Furcht saugte das Mark aus seinen Knochen, ballte sich in seinem Magen zu einem kalten Klumpen und erzeugte wattige Benommenheit in seinem Kopf. All seine Versuche, sich zur Wehr zu setzen, als man ihn vorhin aus der verräucherten Hütte geholt und hier angebunden hatte, waren wirkungslos gewesen, genau wie seine verzweifelten Drohungen von böser Magie und schrecklichen Strafen.
Es war vorbei.
Er würde heute sterben.
Wenn sie ihn wenigstens schnell töten würden. Aber er wusste, was ihn erwartete – Korua-Kolta hatte es ihm selbst genüsslich erzählt: Ein Feind musste gemartert werden, sonst schmeckte er nicht. Und deswegen würden sie ihn stundenlang foltern, ihn schlagen und schneiden, seine Gliedmaßen brechen und ihn lebendig auf die Glut werfen. Erst dann würde ihn ein Stich ins Herz erlösen. Danach würden sie seinen Leichnam zerstückeln und die einzelnen Teile in Bananenblätter gewickelt zusammen mit Taro und Süßkartoffeln im Erdofen garen. Korua-Kolta würde als besonderen Leckerbissen das Hirn und die Geschlechtsteile bekommen.
Noch nie in seinem Leben hatte Noah sich so sehr gefürchtet. Sein ganzer Körper fühlte sich hohl und leer an, wie die zurückgelassene Haut einer Larve. Ein heftiges inneres Zittern hatte ihn ergriffen, ein fester Ring hatte sich um seinen Brustkorb gelegt und ließ ihn kaum atmen.
Er hat entsetzliche Angst. Er ist in einer Kiste eingesperrt, der schwere Holzdeckel ist heruntergeklappt und abgeschlossen. Es ist dunkel und unbequem, und er wartet schon seit Stunden auf seine Strafe. Dann hört er schwere Schritte.
»So, jetzt werde ich die kleine bastaard Benehmen lernen!«
Die tiefe Stimme mit dem holländischen Akzent, den er zu hassen gelernt hat. Das Geräusch eines Schlüssels. Helligkeit.
Alkoholgeschwängerter Atem. Ein derbes Gesicht mit rotem Bart.
Eine flehende Stimme. »Lass meinen Jungen in Ruhe. Bitte, Maarten, schlag ihn nicht schon wieder! Jeroen hat dir doch nichts getan!«
»Ich werde ihm auch nicht slaan!«
Maarten schleift ihn nach draußen, wo das große, bis zum Rand gefüllte Wasserfass steht. Er drückt Jeroens Kopf ins Wasser. Für ein, zwei Sekunden hält Jeroen ganz still, glaubt, wenn er sich nicht wehrt, wird Maarten ihn wieder loslassen. Aber Maarten lässt nicht los. Immer länger hält er seinen Kopf unter Wasser. Jeroen gerät in Panik, versucht sich zu wehren. Verzweifelt greift er mit beiden Armen nach Maarten, doch der Mann ist viel zu stark für ihn. Er bekommt keine Luft, schluckt brackig schmeckendes Wasser. Sterne tanzen vor seinen Augen, die Todesangst lässt ihn strampeln und um sich treten.
Erst
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