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Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Titel: Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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eine kleine Liste mit den wichtigsten Wörtern und Regeln geben, die ich vor Jahren von einem der Herren Missionare erhalten habe. Die Sprache ist von äußerst einfacher Struktur und sehr leicht zu lernen. Zumindest so weit, dass sie einen verstehen.«
    »Ich glaube kaum«, mischte sich ihr Bruder ein, »dass es Fräulein Maritz interessiert –«
    »Oh, doch«, widersprach Isabel. »Das würde es. Ich bin … ich war … nämlich Lehrerin. In Deutschland.«
    »Tatsächlich?« Henriette betrachtete sie prüfend. »Nun, hier leben hauptsächlich alleinstehende Männer und nur sehr wenige deutsche Familien – nur für den Fall, dass Sie sich zum Bleiben entschließen. Hier gibt es leider so gut wie keine weißen Kinder. Nur ein paar Mischlingskinder und natürlich die der Eingeborenen. Aber die wollen Sie sicher nicht unterrichten.«
    »Wer weiß?« Isabel fühlte sich plötzlich herausgefordert. »Ich hatte gehofft, nach … nach …«, sie schluckte, dann fasste sie sich und sprach weiter, »nach meiner Heirat als Lehrerin weiterarbeiten zu dürfen. Schließlich sind wir hier nicht in Deutschland.« Dort hätte sie nach ihrer Eheschließung ihren Beruf aufgeben müssen, denn Lehrerinnen mussten ledig sein. »Auch Conrad schrieb, hier würden Lehrkräfte gebraucht.«
    Henriette sah sie einen Augenblick regungslos an. »Nun, wie auch immer. Sie müssen jetzt erst einmal überlegen, wie es mit Ihnen weitergeht. Ob Sie überhaupt hierbleiben oder wieder zurück nach Deutschland reisen wollen. Nicht wahr, meine Liebe?«
    Als Isabel nickte, fing sie Herrn von Fabers Blick auf, dessen Ausdruck sie für einen Moment an ein verträumtes Schaf erinnerte.
    *
    Isabel sah das Meer zwar nicht, aber sie konnte es hören; ein ständiges leises Rauschen, einem gleichmäßigen Atmen vergleichbar, das sie nun schon seit vier Tagen begleitete. Aus dem geöffneten Fenster, vor dem ein leichter Gazevorhang hing, wehte der schwere, tropische Geruch fremder Blüten hinein. Die ausgefransten Blätter eines Kasuarinenbaums streiften mit leisem Rascheln am Rahmen entlang, von irgendwoher erklang das Zetern einiger streitender Kakadus.
    Isabel saß vor der Ankleidekommode im Gästezimmer und schloss für einen Moment die Augen. Sie fühlte sich nicht gut. Ihr war erneut leicht schwindelig und übel, woran das Chinin schuld war. Vor ihr stand das Glas, das sie vor wenigen Minuten geleert hatte. Eine feine weiße Spur zog sich vom Glasboden bis zu seinem Rand, wo sich die Chininreste abgesetzt hatten.
    Noch immer wusste sie nicht, was sie tun sollte. Aber sie musste eine Entscheidung treffen. Und die hieß: hierbleiben oder abreisen. Abreisen wäre natürlich die einfachste Möglichkeit – einmal ganz davon abgesehen, dass sie über so gut wie keine finanziellen Mittel verfügte. Die Reise hierher hatte die Neuendettelsauer Mission bezahlt – ob sie auch für die Rückreise aufkommen würde? Aber möglicherweise könnte Herr von Faber ihr das nötige Geld vorstrecken. Irgendwie würde sie es schon schaffen, es ihm zurückzuzahlen. Noch hatte sie Zeit: Das nächste Schiff nach Soerabaya, von wo aus sie dann einen Reichspostdampfer zurück nach Deutschland nehmen könnte, ging erst in fünf Wochen.
    Aber wollte sie das überhaupt? Wollte sie zurück nach Deutschland – und damit ihr Scheitern eingestehen? Bei ihrer Abreise hatte sie gehofft, ihr altes Leben hinter sich lassen und hier, am anderen Ende der Welt, neu anfangen zu können. Mit einem freundlichen Ehemann, der auf ihren Charakter sah und nicht auf ihr schwaches Bein. Nachdem sie es endlich gewagt hatte, Conrad davon zu schreiben, hatte sie die Wochen bis zu seinem nächsten Brief in ständig wachsender Nervosität verbracht. Als dann seine Antwort gekommen war, hatte sie vor Freude geweint: Er sehe nicht ihren vermeintlich makelhaften Körper, hatte er geschrieben, sondern ihr Herz, und das sei wunderschön. Außerdem habe ja auch der hochwohlgeborene Kaiser einen verkürzten Arm, sie befinde sich also in bester Gesellschaft. Und dann hatte er sie gefragt, ob sie ihn heiraten wolle.
    Und nun war dieser wunderbare Mensch tot. Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen fort – sie hatte genug geweint in den vergangenen Tagen. Erneut griff sie nach den wenigen Seiten Papier vor sich, die Henriette ihr gegeben hatte. Handschriftlich waren dort eine Reihe der wichtigsten Ausdrücke der hiesigen Pidgin-Sprache aufgelistet. Henriette hatte recht gehabt; die meisten Worte kamen aus dem

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