Im Herzen der Wildnis - Roman
liebe Dich, Shania. Ich werde Dich immer lieben.
J.
Shannon las den Brief noch einmal, dann faltete sie ihn zusammen. Eine Weile saß sie regungslos auf dem Sofa und starrte das Grammofon mit dem Liebestraum an. Der Plattenteller wurde immer langsamer und blieb schließlich stehen. Das Knistern und Knacken verstummte endgültig.
Mit zitternden Knien stand sie schließlich auf. Sie war schon spät dran. Sie konnte Rob nicht länger warten lassen.
Sie nahm die Schellackplatte vom Grammofon und schob sie in die Hülle mit Jays Abschiedsbrief. Er hatte ihn vor seinem Aufbruch nach Alaska geschrieben. Dann holte sie Jane Austens Stolz und Vorurteil aus dem Regal, legte Jays gefaltete Briefe hinein und sah sich zum letzten Mal in Ians Haus um.
Ich werde nie mehr herkommen, dachte sie wehmütig.
Behutsam zog sie die Haustür ins Schloss, stieg die Stufen hinunter zur Straße und ging langsam zu ihrem Duryea. Sie verstaute das Buch und die Schallplatte unter ihrem Sitz und fuhr los. Während sie den Nob Hill hinaufbrauste, wurde ihr bewusst, dass sie immer noch nicht wusste, was sie Rob antworten würde. Erst als sie das Palace Hotel erreichte und sich wieder daran erinnerte, wie sie Jay zum ersten Mal begegnet war, wurde ihr klar, was sie ihm sagen musste. Sie konnte nicht anders.
Mit gestrafften Schultern trat Shannon aus dem Aufzug und ging zu Toms Suite. Sein Butler öffnete. »Guten Tag, Ma’am.«
»Guten Tag, Mr Portman.«
»Ich hoffe, Sie hatten eine schöne Zeit in den Fjorden und Wäldern von Kanada.«
»Danke, Mr Portman. Das Segeln hat meinem Bruder und mir sehr viel Spaß gemacht.«
Der Butler lächelte verbindlich. »Die Herren erwarten Sie.«
Als sie den Salon betrat, sprang Rob aus dem Sessel auf und kam ihr entgegen. »Shannon! Da bist du ja!«
»Entschuldige die Verspätung, ich habe …«
Rob umarmte und küsste sie. »Ich habe dich vermisst«, flüsterte er und liebkoste sie zärtlich. Seine Lippen streichelten sanft die ihren. Dann nahm er ihre Hand und führte sie zum Sofa vor dem Kamin.
Toms Anblick erschreckte sie derart, dass sie schmerzhaft zusammenzuckte. Sein Gesicht war blass und schmal, sein Haar war gelichtet, und er sah erschöpft aus. Seine Augen waren glanzlos, aber er lächelte, als sie ihn umarmte und ihm einen Kuss auf die Wange hauchte. »Tom!«
Er legte seine Arme um ihre Schultern und setzte sich in seinem Rollstuhl auf. »Shannon!« Als er sich kraftlos zurücksinken ließ, schimmerten Tränen der Rührung in seinen Augen. Er streichelte ihre Wange. »Du bist wieder da!«
Als Shannon sich aufrichtete, entdeckte sie ein Büschel seiner Haare auf dem Ärmel. Bei der Umarmung waren sie am Stoff hängen geblieben. Bestürzt fegte sie die Haare auf den Boden, ohne dass Tom es bemerkte.
Ein hochgewachsener Mann, der neben Tom auf dem Sofa gesessen hatte, kam zu ihr herüber. Rob legte ihm die Hand auf die Schulter und stellte ihn vor: »Shannon, das ist Evander. Ich hab dir von ihm erzählt.«
»Evander«, nickte Shannon ihm zu. »Wie schön, dich …«
Ganz unbefangen nahm er ihre Hand, zog sie zu sich heran und küsste sie auf die Wange. »Ich freue mich auch, Shannon.«
Toms ersticktes Lachen ging in ein röchelndes Husten über. Er presste sich ein Taschentuch vor die Lippen, das schon etliche Blutspritzer aufwies. »Der Deal wird immer besser«, keuchte er. »Wenn du Rob heiratest, bekommst du nicht nur uns beide. Sondern auch Evander. Three for the price of one.«
Shannon überspielte ihre Sorge und ihre Angst um Tom mit einem matten Schmunzeln. »Dagegen kann man nichts sagen.«
»Na, siehst du.«
Rob nahm ihre Hand. Er spürte, was sie für Tom empfand, und er wollte nicht, dass sie Fragen stellte. »Lass uns gehen.«
»Kommen Tom und Evander nicht mit?«
Tom winkte ab. »Nein, Shannon. Es gibt da etwas, das ihr beide besser allein besprechen solltet.«
Rob hatte sich also entschieden.
Er legte seinen Arm um sie und schob sie zur Tür. Evander folgte ihnen. Leise raunte er Rob zu: »Ich bleibe die ganze Nacht bei ihm.«
Rob nickte. »Ist gut.«
Evander sah sie beide an. »Ich wünsche euch einen schönen Abend! Und viel Vergnügen!«
Vor dem Hotel nahm Rob ganz selbstverständlich ihre Hand. »Wo steht dein Duryea?«
Shannon blickte sich um. Keine Spur von Hamish. Dann deutete sie in die Seitenstraße. »Um die Ecke.«
Rob drückte ihre Hand.
»Wohin fahren wir?«, fragte sie, als er zu ihr in den Wagen stieg und die Kurbel unter seinen Sitz
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