Im Herzen der Wildnis - Roman
mit seinem Fahrrad auf dem zugefrorenen Matanuska fuhr. Und dort hing ein Bild von San Francisco.
Wehmütig zog er seine Briefe hervor. Er entfaltete den letzten und las ihn noch einmal.
Ich werde die Briefe Rob mitgeben und hoffen, dass Shania sie eines Tages bekommt, dachte er traurig. Meine Gefühle für sie sind so stark wie damals in der Lobby des Palace Hotels, als ich sie zum ersten Mal verloren habe. Ich werde mich an sie erinnern, auch wenn ich nicht mehr von ihr besitze als das Taschentuch mit ihren Tränen. Eine Hand voll Erinnerungen an die schönste Zeit meines Lebens, eine Hand voll Gefühle, eine Hand voll Tränen.
Er faltete den Brief wieder zusammen.
»Josh?« Rob erschien in der Tür. »Hier steckst du!«
Er drehte sich zu ihm um.
Rob schnaufte. »Tut mir leid, ich wusste nicht …«
»Schon gut.« Er stellte die Tasse auf den Küchentisch.
»Colin will aufbrechen. Bist du so weit?«
Nein, Rob. Am liebsten würde ich mit dir nach San Francisco zurückkehren. Aber Ian ist tot, und ich muss in Alaska bleiben …
Josh schob Rob vor sich her aus der Hütte.
»Da bist du ja.« Colin musterte ihn. »Alles in Ordnung?«
»Sicher.«
Während Rob sich von den Huskys verabschiedete, umarmte er Håkon und Arne. »Macht’s gut, ihr zwei! Und bringt Rob sicher zurück nach Valdez!«
»Der Handelsposten unten am Matanuska ist ausgeplündert worden, wir müssen also ohnehin neue Vorräte besorgen. Aber nicht bei der Brandon Corporation.« Arne knuffte Josh freundschaftlich in die Seite und blinzelte zu Colin hinüber. »Das lässt mein Boss nicht zu.«
Josh haute ihm derart auf die Schulter, dass Arne ächzend in die Knie ging. Alle lachten.
Colin umarmte Rob. »Du triffst die richtige Entscheidung.«
»Sie hat noch nicht Ja gesagt.«
Colin klopfte ihm auf die Schulter. »Das wird sie.«
Josh drückte Rob den Stapel Briefe in die Hand. »Danke, Rob. Für alles.« Sie umarmten sich. »Wenn ich in die große böse Stadt komme, besuche ich dich mal.«
»Ich lade dich dann auf ein Bier ein. Gute Reise, Josh.«
Er folgte Colin zu den Pferden und schwang sich in den Sattel. Zum Abschied winkte er, dann wendete er sein Pferd inmitten seiner aufgeregt herumspringenden Huskys und trabte mit Colin über die Bergwiese das Tal hinab nach Norden.
Erinnerung
1900–1901
20
Rasant bog Shannon in die California Street ein und beschleunigte den Duryea. Der Sommernebel über dem Pazifik blieb hinter ihr zurück. Ihre Hände verkrampften sich um die Lenkstange. Seit Rob an diesem Morgen angerufen hatte, er sei zurück aus Alaska, war sie angespannt. Gemeinsames Abendessen?, hatte er gefragt. Ja, gern. Und wo? Doch er hatte nichts verraten: Komm um fünf ins Palace Hotel! Tom freut sich auf dich!
Und Rob?, dachte sie. Freut er sich auch, mich nach all den Wochen wiederzusehen? Seine Stimme hatte sich genauso angespannt angehört wie ihre. Hat er sich entschieden?
Ihr Blick fiel auf den Tahitian Lagoon an ihrer Hand.
Und ich?, fragte sie sich aufgewühlt. Habe ich mich eigentlich schon entschieden?
Die California Street stieg an, und Shannon beschleunigte noch weiter, sodass sie mit Schwung auf der anderen Seite des Hügels hinabraste. Mit hoher Geschwindigkeit bog sie am Tyrell Tower und am Brandon Building ab und fuhr zur Market Street. Sie parkte, nahm ihre Tasche und stieg aus dem Wagen.
Wieder fiel ihr Blick auf den Opalring, den Tom ihr als Verlobungsring an den Finger gesteckt hatte. Sollte sie ihn tragen, während sie mit Rob sprach? Oder sollte sie ihn abnehmen? Während sie um die Ecke bog, um zum Portal des Palace Hotels zu gehen, versuchte sie, den Ring vom Finger zu ziehen. Aber es ging nicht. Verzweifelt zerrte sie daran, bis sie an der Stelle stehen blieb, wo sie über Jays Gehstock gestolpert war. Sie schaffte es nicht, den Ring abzulegen. Oder das Hotel zu betreten, um mit Rob zu reden.
Die Erinnerungen an Jay überwältigten sie. Ihre Augen brannten, und ihr Herz wurde schwer. Vor zwei Monaten hatte er sie verlassen. Und er war nicht zu ihr zurückgekehrt. Sie hatte ihn verloren.
Sie kämpfte mit ihren Gefühlen, als plötzlich Hamish neben ihr auftauchte. Er tippte sich an die Mütze. »Ma’am.«
Sie atmete tief durch. »Guten Tag, Hamish.«
Der Straßenwerber lächelte, aber er wirkte ein wenig bekümmert. »Ich habe etwas für Sie«, sagte er leise.
Sie beobachtete, wie er ein zerknicktes Päckchen Chesterfields hervorzog. »Nein, danke, Hamish«, winkte sie ab. »Ich
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