Im Herzen der Wildnis - Roman
die Ritzen in die Kajüte zu schieben – sie lag unter dem Eis der zugefrorenen Beringsee. Das Holz knarrte unter dem Druck der Eismassen, die das Schiff in den letzten Monaten in eine gefährliche Schräglage gebracht hatten. Manchmal schreckte Josh nachts aus dem Schlaf, weil es krachte, als würden Schüsse abgefeuert.
Schon seit Monaten, seit der Sturm sie nach Norden vor die Küste Alaskas getrieben hatte, war der Schoner hier eingefroren, und das Eis zerdrückte ihn langsam. Jeden Tag konnte Josh neue Planken splittern und krachen hören. Es war eine Frage der Zeit, wann die schräg stehenden Masten im Sturm brechen und einstürzen würden und der Rumpf dem Druck des Eises nicht mehr standhalten könnte.
22. Februar 1902, zwei Uhr dreißig morgens. Acht Monate und einundzwanzig Tage an Bord. Zeit zu verschwinden.
Die Flamme hatte das Ende des Dochtes erreicht. Angespannt blätterte Josh in dem Buch, das neben ihm lag, und betrachtete das Foto von Shannon und Ronan, als er plötzlich draußen im Gang Schritte hörte.
Vor seiner Tür blieb jemand stehen. Josh hielt den Atem an und lauschte. War es Leif Larsson? Oder der Kapitän?
Unter der Decke richtete er den Colt auf die Tür.
Mit einem Ruck wurde die Tür aufgedrückt – sie hatte sich verzogen und klemmte. Leif stand in der Tür und hielt sich am Türrahmen fest, um auf den Bodendielen des geneigten Gangs nicht auszurutschen. Der eisige Wind fegte in die Kajüte. »Guten Morgen, Sir. Sie wollten geweckt werden«, flüsterte er in die weiße Wolke seines Atems hinein.
Josh nahm das Foto von Shannon und Ronan aus dem Buch, das er auf den Tisch legte, und sprang aus dem Bett. »Wie ist das Wetter, Steuermann Larsson?«
Sein Freund grinste, als er beobachtete, dass Josh den Colt zurück in den Patronengurt schob. Seine Waffen und die Munition hatte er vor zwei Stunden aus der verschlossenen Waffenkammer geholt, nachdem er mit dem Kapitän die halbe Nacht gepokert hatte. »Sternenklare Nacht mit herrlichem Polarlicht. Ein bisschen kühl. Ziehen Sie sich warm an, Sir, sonst holen Sie sich einen Schnupfen.«
Josh hängte sich die gepackte Tasche über die Schulter, nahm seine Winchester und schubste Leif aus der Kajüte. »Schläft die Mannschaft?«
Leif nickte. »Aye, Sir. Und der Kapitän schnarcht, dass das Schiff bebt. Was hast du ihm vorhin beim Pokern bloß in den Whiskey getan?«
»Dope.« Josh grinste frech. Er verriegelte die Tür seiner Kajüte, damit ihre Flucht nicht vor dem Frühstück entdeckt wurde. Dann zog er die Fellkapuze seines Parkas hoch, befestigte sie mit dem Band seiner Schneebrille und folgte Leif die Treppe hinauf an Deck.
Im Schein des Polarlichts hatte er das Gefühl, das Schiff wäre noch weiter auf die Seite gerollt. Die Backbordkante hing nur noch wenige Fuß über dem zerklüfteten Eis, die Steuerbordkante ragte steil auf. In einigen Tagen würde sich der Schoner auf die Seite legen, die Masten würden brechen, die Planken splittern, das Wasser würde eindringen, und das Schiff würde unter das Eis sinken. Dann würde das eisige Grab wieder zufrieren …
Schlitternd kletterte Josh hinauf zur Steuerbordseite. An der Bootskante hatte die Mannschaft schon vor Monaten aus einem Segel eine Rutsche hinunter auf das Eis gefertigt. Das schwere Segeltuch war mit einer dicken Schicht Eis und Schnee bedeckt – der Weg hinunter aufs Packeis war also leichter, als über das vereiste Fallreep hinunterzusteigen.
Die Flucht über das Eis war Irrsinn! Kein Zelt gegen den Eissturm, nur ein Schlafsack und eine Decke gegen die Kälte, kein Holz für ein Lagerfeuer, um zu kochen und Trinkwasser aufzutauen, und keine Tiere zum Jagen, denn sie befanden sich mitten auf der Beringsee. Und die Vorräte, die Leif und er in ihren Taschen mitnahmen, waren hart gefroren.
Nach einem letzten Blick hinauf zu den beiden Masten schwang Josh seine Beine auf das steif gefrorene Segeltuch und rutschte hinunter auf das Eis. Leif half ihm auf.
Schweigend überquerten sie das Baseballfeld, das mit leeren Konservendosen und Proviantkisten markiert war. In den letzten Monaten hatte die Mannschaft mit den Schlagstöcken, mit denen sie auf den Pribilof-Inseln Robben erschlagen hatte, Baseball gespielt, um sich die Zeit zu vertreiben und sich warm zu halten. Die Vorräte und das Brennholz waren schon seit Weihnachten rationiert. Der Hunger, der Durst und die Kälte waren ständige Begleiter.
»Wo ist der Schlitten?«, fragte Josh.
Leif, der sich wie er den
Weitere Kostenlose Bücher