Im Herzen der Wildnis - Roman
sahen. Beide sprangen auf, rannten ihn fast um, als er vom Schlitten kletterte, umarmten ihn herzlich und wirbelten ihn herum. »Wir haben gehört, du seist tot!«
»Wer sagt das?«, fragte Josh bestürzt.
»Na, alle!« Håkon wusste es von Colin, der aus Nome telegrafiert hatte – er war immer noch dort. Und Colin hatte es von Shannon erfahren, die Josh im letzten Juni in San Francisco sehnsüchtig erwartet hatte.
Shannon glaubt, ich sei tot!
Arne musste ihn festhalten, als er taumelte. »Josh, um Himmels willen! Was ist denn?«
»Ich muss schnellstens nach Valdez!«
Arne blieb im Lager bei der Kupfermine, während Josh auf Håkons Schlitten das Tal hinuntersauste zum Matanuska. Der Handelsposten, in dem er vor Monaten mit Rob und Colin wegen des strömenden Regens festgesessen hatte, war immer noch verlassen. Håkon jagte seine Huskys über den Weg, den Colin, Rob und Josh damals genommen hatten: Sie passierten den Matanuska-Gletscher, überquerten an einem düsteren Schneetag Mitte April das Geröllfeld des Nelchina-Gletschers und fuhren einen Canyon hinunter zu der Stelle am Tazlina, wo Rob nach Gold gesucht hatte. Josh erinnerte sich, wie der Aussie sich mit der Bratpfanne an den Fluss gehockt und tatsächlich ein wenig Goldstaub gefunden hatte.
Dann stiegen andere Erinnerungen in ihm auf. Er musste an Ian denken und an seinen Tod auf dem Gletscher. Und als Håkon und er in Charlottes Roadhouse übernachteten, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er lag auf dem Rücken und weinte leise, wie ein verlassenes Kind. Håkon drehte sich auf die andere Seite, zog den Schlafsack hoch und gab vor, nichts zu merken. Er ahnte wohl, was Josh empfand. Denn als sie am nächsten Morgen die Eisspalten des Klutina-Gletschers umfuhren, bat Josh ihn, für eine Minute anzuhalten. Er kletterte vom Schlitten und ging einige Schritte über den verharschten Schnee. Ian war hier gestorben.
Mit Tränen in den Augen erinnerte er sich, wie Ian seine Augen panisch aufgerissen hatte, als der gefrorene Schnee unter seinen Füßen zerborsten war und ihn in den Abgrund gerissen hatte. Josh hatte sich auf den Boden geworfen und im letzten Augenblick Ians Handgelenk gepackt, um ihn zu retten. Doch er war ihm entglitten und in die schwarze Tiefe gestürzt.
Es dauerte lange, bis er sich beruhigt hatte. Aber als er schließlich zu Håkons Schlitten zurückkehrte, hatte er einen Entschluss gefasst: Er würde nie mehr nach Alaska zurückkehren! Sein Land der Hoffnung und der Sehnsucht lag nun anderswo: in San Francisco. Bei Shannon.
31
Sanft drang der Maiwind durch die Fenster ins Schlafzimmer von Joshs Haus und streichelte ihre nackten Körper. Der Duft von vierundzwanzig roten Rosen war betörend – eine Blüte für jeden Monat ihrer Liebe. Neben der Vase auf dem Nachttisch lag der Liebesbrief, den Rob Sissy geschrieben hatte.
Sie schmiegte sich in seine Arme und nahm ein anderes Foto von der Bettdecke. »Ihr seht so glücklich aus!«, staunte Sissy, als sie das Foto von Shannon und Rob in enger Umarmung vor dem Tadsch Mahal betrachtete.
»Wir sind glücklich.«
Sie nickte, sagte aber nichts dazu. Rob wusste, dass sie es nicht war, nicht mit Lance, nicht mit dem Unternehmen. Seit Josh vor elf Monaten verschwunden war, lastete eine viel zu schwere Verantwortung auf ihren Schultern: Eines Tages, wenn Charlton nicht mehr da wäre, würde sie die Brandon Corporation leiten müssen. Das nahm sie nicht so gelassen hin wie Shannon, die sich in den letzten Wochen in die Führung von Conroy Enterprises eingearbeitet hatte, nachdem sie mit Rob während ihrer Weltreise die meisten ihrer Unternehmen besucht hatte.
In London, Paris und Rom hatten Shannon und er Empfänge und Dinners gegeben und hatten bei einem Glas Champagner Geschäfte gemacht. Bei Besprechungen hatte sie neben ihm gesessen, hatte kluge Vorschläge gemacht, hatte auf ihre charmante Art die Verhandlungen geführt und ihre Gesprächspartner bezaubert. In den obersten Etagen der Geschäftswelt waren Frauen eine Seltenheit. Shannon hatte die nachsichtige Toleranz belächelt, mit der sie zunächst behandelt worden war, als sie an seiner Seite die Besprechungsräume betreten hatte. Doch schnell war die Überheblichkeit ihrer Gesprächspartner, die sie auf den ihr als Frau zustehenden Platz verweisen wollten, in bewundernden Respekt umgeschlagen. Sie hatten gespürt, dass Shannon wusste, was sie wollte.
In ihrem Liebesnest in Cinque Terre hatten sie dann wochenlang Zeit für sich
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