Im Herzen der Wildnis - Roman
schlug den Trauerschleier zurück und nickte ihm zu. »Alistair? Ich bin’s.«
Josh konnte nicht verstehen, was der Doktor ihr sagte. Aber Shannon begann plötzlich zu taumeln. Sie schlug sich die Hand vor die bebenden Lippen und hauchte ein fassungsloses »Was?«.
Josh trat ganz nah an sie heran und legte sein Ohr an den Hörer, aber er konnte nicht verstehen, was McKenzie ihr zu berichten hatte.
»Ich komme sofort.« Shannon war bleich, als sie auflegte und Josh mit aufgerissenen Augen ansah. »Ich muss sofort nach Hause. Skip hat auf Caitlin geschossen.«
»O mein Gott!«, stöhnte er. »Ist sie tot?«
Trauer
1904–1906
35
Sein Kuss weckte sie. Seine Hand streichelte über ihr Haar. Mit einem Seufzer zog sie sich das Bettlaken über die Schultern und ergriff seine Hand. Während sie sich unter dem Laken aneinanderschmiegten, verschränkten sie die Hände ganz fest ineinander. So hielten sie einander fest. Beim Einschlafen und beim Aufwachen. Diese gefühlvolle Geste, dieses kleine Ritual, war ihnen sehr wichtig.
Eine warme Brise wehte durch die Fenster herein. Sie brachte den Duft nach Meer und Blüten mit. Es war ein herrlicher Morgen im August.
Noch ein Kuss, leidenschaftlich und erregend. »Guten Morgen … Und alles Gute zum Hochzeitstag.«
Vier Jahre bin ich mit Rob verheiratet!, dachte sie und öffnete die Augen. »Dir auch, Rob. Alles, was du dir wünschst!«
»Ich liebe dich, Shannon.«
»Ich liebe dich auch.« Mein zärtlicher Kuss ist ein Versprechen, dachte sie, wie das Ineinanderfalten unserer Hände. Nächstes Jahr zum Hochzeitstag. Und übernächstes Jahr. Und das Jahr darauf. Und das danach. Ich werde immer für dich da sein, solange du lebst.
»Wollen wir gemütlich im Bett frühstücken?«
»O ja, das wäre schön.«
Rob ließ sich in die Kissen fallen und tastete nach der Klingelschnur. Mr Mulberry, der offenbar schon gewartet hatte, trat ein. Der Duft von Kaffee wehte bis ans Bett. »Ma’am? Sir? Guten Morgen. Und meine herzlichsten Glückwünsche.«
»Danke, Mr Mulberry«, sagte Rob. »Ist das Frühstück fertig?«
Kurz darauf brachten Mr Portman und Mr Mulberry ausgewählte Leckereien wie Räucherlachs, Wildpastete mit Preiselbeeren oder Blinis mit saurer Sahne und Kaviar, eine Flasche eisgekühlten Champagner und einen Strauß roter Rosen. Zum Spaß zählte Shannon nach: Es waren tatsächlich achtundvierzig.
Das Champagnerfrühstück war ein sinnliches Vergnügen. Shannon lehnte sich gegen Rob, dem sie einige Kissen hinter den Rücken gestopft hatte, und legte seinen gelähmten Arm um sich. Sie naschten Kavier, tranken Champagner, streichelten und küssten sich zärtlich und alberten herum.
Die Zeit mit Rob genoss Shannon, solange es ging. Sie machte sich keine Illusionen, wie es um ihn stand: Der Tod würde ihn irgendwann aus ihren Armen reißen.
»Du bist plötzlich so ernst … Was ist denn?«
Shannon setzte sich auf und schenkte sich einen Kaffee ein.
Rob streichelte sanft ihren Rücken, und sein Finger schob sich unter den Saum ihres Nachthemdes und liebkoste ihre Haut. »Mein Liebes, du hattest in den letzten acht Monaten kaum Zeit für dich … Caitlin … Skip …«
Ausgelassenes Gelächter drang durch die offenen Fenster. Skip tobte mit Ronan im Garten herum. Shannon nippte an ihrem Kaffee und lauschte auf Skips fröhliches Lachen. Sie war so froh, dass sein Befinden sich gebessert hatte, seit sie ihn vor einigen Wochen nach Hause geholt hatte. Er war so schwach und so verwirrt gewesen, dass sie befürchtete, er würde nicht überleben.
Josh hatte Shannon zum Castle gefahren. Charlton hatte an Caitlins Bett gewacht – sie war schwer verletzt gewesen, bleich und bewusstlos. Shannon war zutiefst erschrocken gewesen, nicht nur über Caitlins Besorgnis erregenden Zustand, sondern auch über Charltons verkniffenen Gesichtsausdruck. Während sie sich auf Caitlins Bett gesetzt hatte, um ihren Puls zu fühlen, war Josh neben Charlton getreten und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Was war geschehen?
Charlton hatte mit den Zähnen geknirscht, als er berichtete: Während Shannon und Josh im Palace Hotel dinierten, hatte er ein erschütterndes Telegramm von Jake Fynn erhalten. Die Gale Force war im Frühling 1902 vom Packeis der Beringsee zerschmettert worden, und der Schoner war unter dem Eis versunken. Das Logbuch, das nicht mehr gerettet werden konnte, hatte sich in einer wasserfesten Truhe befunden, die nach der Eisschmelze von der Meeresströmung
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