Im Herzen der Wildnis - Roman
Leitung von Tyrell & Sons von Shannon übernommen hatte, hatte Caitlin zornig aufbegehrt und sich mit ihm gestritten. Colin hatte ihr in einem erbitterten Wortgefecht widerstanden. Er hatte es abgelehnt, sich von Sherrie scheiden zu lassen. Er hatte sich geweigert, seine Frau mit einer Abfindung fortzuschicken, um eine andere zu heiraten, die standesgemäß war. Colin hatte sein Leben in Alaska aufgegeben, seine Unabhängigkeit und seine Freiheit, aber seine Hoffnungen und Träume wollte er nicht opfern – darin war er sich mit Shannon einig.
Am Tag nach dem Streit flüchtete sich Sherrie zu Shannon. Caitlin hatte ihr zehn Millionen Dollar geboten, wenn sie Colin verließ und ihren Sohn Jason auslieferte. Wie bei Alannah und Sean, hatte Shannon sich erinnert, aber bei Mom und Dad hatte Caitlin die Scheidung durchgesetzt. Alannah O’Hara hatte den Namen Tyrell abgelegt und war nach New York geflüchtet. Sherrie Levine Lamont würde den Namen Tyrell aus purem Trotz behalten und zu ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn stehen. Aber der Kampf gegen Caitlin kostete sie viel Kraft. In den letzten Monaten, seit Caitlin die Leitung ihres Unternehmens wieder übernommen hatte, waren Colin und Sherrie oft bei Shannon und Rob zu Gast gewesen – Jason und Ronan waren die besten Freunde. Sie tobten im Garten herum, ritten auf ihren Ponys am Strand entlang und spielten auf Shannons Boot, das am Steg vor Anker lag, und …
»Shannon?« Rob richtete sich im Bett auf und küsste sie in den Nacken. »Was ist denn? Du bist so still.«
Sie atmete tief ein und lauschte auf das fröhliche Gelächter, das aus dem Garten heraufdrang.
»Woran denkst du?«, fragte Rob.
»An Skip. Ich bin so froh, dass es ihm besser geht.«
»Ich auch.« Rob küsste ihre Schulter. »Er malt uns heute bestimmt wieder ein Bild vom Meer.«
Skip malte immer nur das Meer. Die sturmgepeitschten Wogen, die sich mit hoch aufschießender Gischt an den Felsen des Golden Gate brachen. Von Gischt marmorierte Brecher mit kippenden weißen Schaumkronen, die im Sonnenlicht gleißten. Hohe Dünung unter bedrohlichen Sturmwolken in allen Schattierungen von Blau, am fernen Horizont ein greller Blitz. Ein Bild, das Shannon den Atem verschlagen hatte, als sie es zum ersten Mal gesehen hatte, zeigte eine stürmische See vor einem fernen Silberstreif am Horizont. Darüber wölbte sich ein schwarzes Inferno aus wirbelnden Wolken, Regen und Sturm. Was sie so erschreckt hatte, war das abgrundtiefe schwarze Loch inmitten der zerfetzten Wolken.
Im Sanatorium hatte Skip auch gemalt, mit den hellen sonnigen Farben, die Shannon ihm mitgebracht hatte. Aber die Bilder waren nicht so seelenvoll und so intensiv gewesen wie diese Meerbilder. Denn damals war er von den starken Medikamenten, die ihn beruhigen sollten, wie betäubt gewesen.
Das hatte Shannon nicht weniger erschreckt als die Einschätzung des Anstaltsleiters, Skip wäre eine Gefahr für andere und für sich selbst. Nur mit diesen Medikamenten könnte er seine Ruhe und seinen Seelenfrieden wiederfinden. Gutes Essen, frische Luft, Arbeiten in angenehmer Atmosphäre und Malen, um sich selbst auszudrücken und um seiner gequälten Seele Erleichterung zu verschaffen – das wäre das Beste für ihn. Den Briefen des Arztes war auch tatsächlich zu entnehmen, dass es Skip nach und nach besser ging. Trotz der bedrückenden Stimmung im Sanatorium scherzte und lachte er, und die Farben seiner Bilder waren harmonisch, faszinierend und intensiv. Die Psychosen und die Panikattacken wurden seltener, und Skip war nicht gewalttätig. Symbole der Todessehnsucht fanden sich nicht in seinen Bildern.
Doch dann hatte Skip völlig überraschend einen Rückfall erlitten. Während des Malens im Garten war er schluchzend zusammengebrochen und hatte sich nicht mehr beruhigen lassen. Als besänftigend auf ihn eingeredet worden war, hatte er zu schreien begonnen, und als er in sein Zimmer gebracht werden sollte, hatte er um sich geschlagen. Wie ein Irrer hatte er sich herumgeworfen, hatte nach den Pflegern getreten, hatte sich losgerissen und mit aller Kraft zugeschlagen. Dabei hatte er eine Krankenschwester verletzt. Mit Gewalt war er in eine Zelle gebracht, an ein Bett gefesselt und eingeschlossen worden. Die Diagnose: Skip war gewalttätig und gefährlich. Die Therapie: Elektroschocks am Gehirn. Ohne diese Maßnahmen, hatte der Anstaltsleiter befürchtet, würde Skip jeden umbringen, der in seine Nähe kam. »Auch Sie, Mrs Conroy.«
Shannon war
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