Im Herzen der Wildnis - Roman
nach Norden in den Norton Sound getragen worden war. Am Strand von Nome war sie einige Tage zuvor von Goldsuchern entdeckt worden. Ein Eintrag vom Sommer 1901 im Logbuch ließ darauf schließen, dass Caitlin Blutgeld bezahlt hatte, damit der Kapitän Josh im Hafen von San Francisco schanghaite und zum Robbenfang nach Japan und Russland verschleppte. Jakes Telegramm erzürnte Charlton derart, dass er ins Castle fuhr, um Caitlin zur Rede zu stellen. Shannon war fassungslos und hatte sofort Caitlins Hand losgelassen, als fügte ihr die Berührung Schmerzen zu.
Charlton und Caitlin hatten erbittert gestritten, als plötzlich Skip mit Aidans Colt in der Tür stand. Charlton dachte zuerst, er wollte auf ihn losgehen, weil er Caitlin bedrohte. Doch dann hatte Skip auf sie geschossen. Danach war er weinend zusammengebrochen. Nachdem er Caitlin ins Bett gebracht hatte, rief Charlton Doc McKenzie an. Alistair hatte Caitlins Wunden versorgt und Skip eine Spritze gegeben, damit er sich beruhigte. Er war bei ihm geblieben, um auf die Pfleger des Sanatoriums zu warten. Bestürzt war Shannon zu Skip gegangen. Ihr Bruder stand unter ihrer Vormundschaft, sie war verantwortlich für ihn. Schuldgefühle hatten ihr Gewissen gequält: Sie hatte sich wochenlang um Rob gekümmert, um ihn ins Leben zurückzuholen. Dabei hatte sie Aidan und Skip vernachlässigt, die sie gebraucht hätten wie Rob. Und nun war Aidan tot, Caitlin kämpfte um ihr Leben, und Skip wurde in eine Irrenanstalt gebracht.
»Du bist krank!«, hatte Caitlin ihn angeschrien, als Skip sie wegen Aidans Selbstmord zur Rede gestellt hatte. »Du bist doch kein Mensch mehr! Du fällst allen nur noch zur Last! Selbst deine Schwester kann dich nicht mehr retten!« Shannon war erschüttert gewesen, als Skip ihr unter Tränen gestanden hatte, dass er völlig außer sich hinauf in Aidans Zimmer gestürmt war, um den Colt zu holen. Als er in den Salon zurückgekehrt war, stand plötzlich Charlton vor ihm, der sich mit Caitlin stritt. Wegen Josh, den Shannon so sehr liebte! So viel Leid hatte Caitlin verursacht! So viel Schuld hatte sie auf sich geladen! Völlig von Sinnen hatte er auf sie geschossen, bis sie am Boden gelegen hatte.
Shannon hatte Skip umarmt. Sein Kopf hatte an ihrer Schulter gelegen, und er hatte geschluchzt und vor Angst gezittert. Seine Persönlichkeit hatte sich in den letzten Monaten langsam aufgelöst. Alles, was ihn einmal ausgemacht hatte, seine liebenswerte Versponnenheit, seine Verletzlichkeit, sein herzliches Feingefühl, war verschwunden. Das Fortschreiten seiner Krankheit, seiner Sucht und seiner Psychosen, mitzuerleben war für Shannon furchtbar gewesen. Die Bilder, die er in düsteren Farben gemalt hatte, hatten sie erschreckt. Aber sie hatte nicht geahnt, dass es so schlimm um ihn stand.
Die Pfleger hatten Skip aus ihren Armen gerissen, an eine Trage gefesselt und ins Sanatorium gebracht. Wie er sich gewehrt und um seine Freiheit gekämpft hatte! Wie er geschrien hatte! Gebettelt! Geschluchzt! »Sie wird auch dich zerstören, Shannon!« Die Äthermaske, die sie an einen Maulkorb für einen tollwütigen Hund erinnerte, hatte seine verzweifelten Schreie erstickt. Skip hatte die Augen verdreht und war betäubt in sich zusammengesackt.
Shannon war in seinem Zimmer zurückgeblieben. Josh hatte sie ganz fest in die Arme genommen und getröstet. Er, dem selbst so viel Leid zugefügt worden war, der in Alaska beinahe gestorben wäre! Er hatte zu ihr gestanden und ihr die Kraft gegeben, die sie brauchte, um am Ende des Tages die Verantwortung zu übernehmen. Caitlin hatte mit dem Tod gerungen. Entschlossen hatte Shannon die Leitung von Tyrell & Sons übernommen, obwohl sie keine Tyrell mehr war – aber Colin war in Fairbanks, der neuen Boomtown am Tanana, wo vor einigen Wochen Gold gefunden worden war.
Shannon hatte ihren Bruder aus Alaska zurückgerufen: »Komm sofort nach Hause! Es gibt viel zu tun. Ich brauche dich hier.« Anfang Februar 1904 war Colin mit Sherrie und ihrem kleinen Sohn in San Francisco eingetroffen, um die Leitung von Tyrell & Sons von ihr zu übernehmen, während Caitlin sich nur langsam von den schweren Verletzungen erholte. Sie hatte nicht mit Shannon gesprochen. Nicht, als sie erwachte und Shannon an ihrem Bett fand, und nicht, als Shannon ihr Unternehmen führte. Caitlin und Shannon hatten sich nichts zu sagen. Ein freundliches Wort oder eine versöhnliche Geste wäre für sie beide blanker Hohn gewesen.
Erst als Colin die
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