Im Herzen der Wildnis - Roman
gemeinsam ein Bild ergeben.
Shannon, my love. Robs Bekenntnis zu seiner Liebe versetzte ihr einen Stich ins Herz und trieb ihr die Tränen in die Augen. Er musste den Brief geschrieben haben, während Josh und sie in Carmel waren.
Ist es ein Abschied?, fragte sie sich. Es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass auch sie seit Tagen Abschied nahm von Rob, der zwar lebte, aber kein Partner mehr war. Er konnte nicht mehr für sie da sein, nicht mehr mit ihr reden, lachen, weinen. Er konnte nicht mehr zärtlich ihre Hand halten, und er konnte sie nicht mehr leidenschaftlich lieben. Ja, er konnte nicht mehr mit ihr alt werden.
Die Schritte auf dem Bootssteg hörte Shannon erst, als Evander aus dem Nebel auftauchte und neben dem Boot stehen blieb. Er trug einen eleganten Geschäftsanzug, den er aus Italien mitgebracht hatte. »Ich dachte mir schon, dass du hier bist.«
Als sie fragend die Augenbrauen hob, deutete er auf den Umschlag neben ihr. »Robs Brief hat dich vorhin ziemlich erschreckt.« Er sprang an Bord, setzte sich neben sie auf die Ruderbank und legte seinen Arm um sie. »Josh hat gerade wieder angerufen und sich nach Rob erkundigt. Ich habe ihm gesagt, sein Zustand sei unverändert. Ronan vermisst sein Fahrrad. Ich dachte, ich bringe es ihm. Ich muss sowieso noch mal ins Büro.«
»Wie geht’s Ronan?«
»Josh sagt, er hat schon wieder nach Rob gefragt. Ihm fehlt sein Daddy schrecklich.«
Shannon schlug sich die Hand vor die Lippen und kämpfte mit den Tränen.
Evander küsste sie behutsam. »Ich rufe dich nachher an und frage, wie es dir geht, in Ordnung?«
Der Tod eines geliebten Menschen ist leichter zu verkraften, weil er endgültig ist, dachte sie. Du trauerst, du lernst mit dem Verlust zu leben, du erträgst die Verzweiflung, den Schmerz, die Einsamkeit. Aber das hier ist viel schwieriger, weil der Geliebte weder tot noch lebendig ist. Deine Gefühle schwanken zwischen Hoffnung und Zuversicht, dass alles wieder gut wird, und Traurigkeit und Schmerz, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war. Nichts ist schlimmer, als jemanden zu haben und trotzdem allein zu sein.
Shannon atmete tief durch, steckte den Brief ein und kehrte zurück zum Haus. Mit einem Strauß frischer Blumen ging sie zu Robs Schlafzimmer. Es war ein Winterstrauß in weiß, grün und rot – passend zu Weihnachten. Zwischen den Blüten steckte wie immer eine Karte. Ein kleiner Liebesbrief, den Evander seinem Freund später vorlesen würde. Er hatte ihr gesagt, dass Rob sich immer sehr darüber freute.
Auf der Treppe begegnete ihr Mr Mulberry, der ihr die Vase abnehmen wollte. Sie strich ihm über den Arm.
»Ma’am«, flüsterte er gerührt. »Das Bett ist frisch bezogen. Und das Kaminfeuer brennt. Es war ein bisschen kühl im Raum. Aber jetzt ist es angenehm warm für Mr Conroy.«
»Danke, Mr Mulberry.«
»Ma’am.« Der Butler zögerte. »Was ich Ihnen in den letzten Tagen immer schon sagen wollte … Bitte verzeihen Sie! Ich bin sehr stolz darauf, in Ihren Diensten zu stehen, Ma’am. Mr Portman denkt wie ich. Wie auch das übrige Personal. In Gedanken sind wir bei Ihnen und Ihrem Mann.«
»Danke, Mr Mulberry.«
Mit den Blumen im Arm ging Shannon den Gang hinunter zu Robs Schlafzimmer. Das Eintreten war wie jedes Mal ein Schock: ein Tropf mit einer Glukoselösung, etliche Kabel auf der Bettdecke, ein piepsendes Gerät neben dem Bett. Das Elektrokardiogramm, das Conroy Electrics erst vor wenigen Wochen auf den Markt gebracht hatte, maß Robs Herztätigkeit. Es war Toms Vermächtnis. Kurz vor seinem Tod hatte er sich entschlossen, in die Medizintechnologie zu investieren, um Krankheiten zu erkennen und Leben zu retten.
Rob lag regungslos in den Kissen. Er wirkte ganz friedlich. Er lächelte nicht, aber er atmete ruhig und stetig. Am Anfang hatte sie immer gedacht, gleich wache er wieder auf. Aber die Ärzte hatten ihr in den letzten Wochen wenig Hoffnung gemacht, dass er je wieder mit ihr sprechen würde.
Bei Robs Anblick zwang sie sich zu einem Lächeln.
Das Piepsen des Gerätes beschleunigte sich. Robs Herz schlug immer schneller, wenn sie während des Tages oder der Nacht den Raum betrat. Er brauchte keine Begrüßung, keine Umarmung und keinen Kuss, um zu wissen, dass sie da war. Er freute sich immer, wenn sie kam. Er genoss die Zärtlichkeiten.
Shannon stellte die Blumen auf den Nachttisch und legte sich neben ihn auf das Bett. Robs Haut war blass und kühl, und die feinen Fältchen um die Augen und die Mundwinkel
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