Im Herzen der Wildnis - Roman
wärmen und zu trösten, dachte Josh traurig. Um ihr Mut zu machen. Um ihr Hoffnung zu geben.
Aber er zog die ausgestreckte Hand wieder zurück, weil er fürchtete, die kleinste Geste und die zarteste Berührung könnten sie verletzen. Aber sie nicht zu berühren fügte ihm körperliche Schmerzen zu.
Als sie die Tasse hob, rutschte die Decke von ihren Schultern und fiel in den Sand. Behutsam legte er sie ihr wieder um.
»Warst du schon bei Rob?«
Er nickte. Shannon hatte die Schläuche und Kabel entfernt. Rob sah aus, als schlafe er nur.
»Josh, wir hätten nicht nach Carmel fahren sollen. Ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen.«
Sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Er erinnerte sich an ihre Tränen, als sie auf der Felseninsel in seinen Armen gelegen und geweint hatte. Plötzlich spürte er die furchtbare Angst, nach Rob auch noch sie zu verlieren.
Schuld und Reue schimmerten zwischen den Tränen in ihren Augen, und Josh fühlte sich, als blickte er in einen Spiegel. Wenn sie nicht mit ihm nach Carmel gefahren wäre. Wenn sie bei Rob geblieben wäre. Wenn, ja wenn …
»Fünf Jahre haben wir umeinander gekämpft, Josh. Mit Hoffnung und Liebe. Und jetzt …« Sie vergrub ihr Gesicht in beiden Händen und atmete tief durch. »Rob war mein Leben. Wir haben alles gemeinsam getan. Rob war so …« Sie konnte nicht weitersprechen und schüttelte nur den Kopf.
»Es ist so schwer, Worte zu finden …«
Sie nickte stumm.
Er tastete nach ihrer Hand, die neben Robs Brief ruhelos im Sand wühlte – in einer hilflosen Geste ließ sie den Sand durch ihre Finger rinnen. »Ich habe das Gefühl, nie wieder glücklich sein zu können.«
Ich will das Richtige sagen, aber was ist das Richtige?, dachte Josh. Ich kann ihr nicht sagen, dass ich Rob versprochen habe, nach seinem Tod für sie zu sorgen. Sie zu lieben, sie glücklich zu machen, sie zu heiraten.
Sanft drückte er ihre Hand. »Ich bin immer für dich da.«
»Danke, Josh.«
»Und ich versuche, dir Kraft zu geben, um die schwere Zeit zu überstehen.«
Sie hat schon damit begonnen, sich den Erinnerungen zu stellen, indem sie die Schublade mit den Fotos und Briefen durchgesehen hat, dachte er. In den nächsten Tagen wird sie durch die Räume gehen und Robs Sachen ordnen. Sie wird in Büchern blättern, die er gelesen hat. Sie wird den Schrank öffnen, die Hand über seine Hemden gleiten lassen und ihr Gesicht in seinen Pullovern vergraben, die noch ein wenig nach ihm riechen. Sie wird die Augen schließen und sich vorstellen, er wäre noch da. Sie wird versuchen, ihm so nahe wie möglich zu sein. Auf diese Weise wird sie für die Schuld büßen, bei mir gewesen zu sein, als es geschah, und ihn allein gelassen zu haben.
Sie sah ihn an. »Hast du Ronan mitgebracht?«
»Nein. Als du mich vorhin angerufen hast, hast du geweint. Ich wollte nicht, dass Ronan seine Mommy so sieht.«
»Hast du ihm erzählt, dass sein Daddy gestorben ist?« Sie besann sich. »Entschuldige, Josh. Ich wollte dir nicht wehtun.«
»Ist schon gut. Rob war so sehr sein Daddy, wie ich es bin. Er hat ihn gefüttert und gewickelt und in den Schlaf gesungen, lange bevor ich wusste, dass ich einen Sohn habe«, sagte er behutsam. »Ich habe Ronan nicht gesagt, weshalb ich zu dir gefahren bin. Er wird sehr traurig sein. Ich dachte, wir sagen es ihm gemeinsam, dass es … nur noch uns drei gibt.«
Mit der Hand glättete er den Sand, den sie aufgewühlt hatte. Aus kleinen Muscheln formte er ein Herz. Was er ihr so gerne sagen wollte, konnte er ihr nicht mit Worten sagen.
Shannon, die ihn dabei beobachtete, kämpfte mit ihren Gefühlen. »Kannst du Ronan über Weihnachten bei dir behalten?«
Sein Herz setzte einen Schlag aus. Er wollte sie nicht verlieren. Er wollte für sie da sein. »Und du?«, fragte er verzagt.
Sie schwieg.
»Ist gut«, sagte er, und seine Stimme brach. »Soll ich seine Geschenke mitnehmen?«
Sie presste die Lippen aufeinander und blickte aufs Meer hinaus. Sie nickte langsam.
»Mach ich.« Josh wartete darauf, dass sie noch etwas sagte, aber sie schwieg. Sie wollte jetzt allein sein. Er verstand sie.
Bevor er ging, schrieb er mit dem Finger noch etwas in den Sand. Mit dem Herz aus Muscheln ergab es einen Satz.
Iyou.
»Mein Testament«, murmelte Caitlin, während sie mit verkrampften Fingern die Worte niederschrieb. Sie gingen ihr nicht leicht von der Hand. Aber sie hatte sich entschieden.
Ich, Caitlin O’Leary Brandon Tyrell, geboren am 17. April 1826 in
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