Im Herzen der Zorn (German Edition)
etwas gesagt, zumindest soweit Em wusste, und jetzt reichte er ihr die Hand. Er war immer noch auf ihrer Seite.
Sie hörte JD »Komme schon!« von drinnen rufen und seine Stimme ließ neue Hoffnung in ihr aufkeimen, genug, um sie zu einem kleinen Lächeln zu bewegen.
Als er die Tür öffnete, hatte sie das alberne Grinsen immer noch im Gesicht und sein Anblick, in leicht ausgebeulten Jeans, weißem T-Shirt und seiner abgetragenen Lieblingsstrickjacke – der mit den Löchern an beiden Ellbogen und dem Kaffeefleck auf dem rechten Ärmelbündchen –, reichte aus, um ihr Lächeln sogar noch breiter zu machen. Seine Augen hatten die Farbe des Herbstes. Sie hatte fast schon vergessen, wie gut er aussah.
Doch JDs müder, misstrauischer Blick vertrieb das Lächeln aus ihrem Gesicht. Die Sache würde nicht einfach werden.
»Deine Herrschaft des Schweigens ist also vorüber?«, fragte sie mit gespielter Heiterkeit, als er die Tür aufhielt. Er zuckte, ohne zu antworten, mit den Schultern, drehte sich einfach um und sie folgte ihm durch den Flur und ins Fernsehzimmer.
Dort ließen sie sich nieder, wie immer. Aber das peinliche Schweigen zwischen ihnen war ungewohnt. Em versuchte, sich nicht JD und Drea zusammengekuschelt hier auf dem Sofa vorzustellen. Was, wenn er ihr von ihrem verrückten Ritual erzählt hatte? Da ertönte von der Tür zwischen Küche und Fernsehzimmer Mädchengekreische.
»Emmmmmmmmm!« Es war Melissa, die dort stand, die Haare zu einem Zopf geflochten und eine Tüte Tortilla-Chips in der Hand.
»Hey, Melly«, begrüßte Em sie, dankbar für die Ablenkung.
»Gott sei Dank«, sagte Mel und knabberte geräuschvoll einen Chip.
»Gott sei Dank was?«, fragte Em.
»Gott sei Dank, dass du hier bist«, antwortete Mel, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. »Ich dachte schon langsam, du hast uns nicht mehr lieb!«
»Wir müssen mal ein bisschen ungestört sein, Melly«, sagte JD. Aber er klang nicht verärgert. Sein Tonfall hatte sich entspannt.
»Meinetwegen«, erwiderte seine Schwester. »Ich muss sowieso nach oben. Bin gerade am Chatten.«
Em lachte, als Mel aus dem Zimmer rauschte. »Ich wette, das Mädchen landet später mal in der PR«, sagte sie. »Sie pflegt ständig irgendwelche Kontakte.« Em und JD waren sich immer einig gewesen, dass Mel locker als schnellste SMS-Schreiberin der Welt ins Guinnessbuch der Rekorde kommen könnte.
»Ich weiß …. Sie macht so ziemlich wieder wett, dass ich ein kontaktloser Einsiedler bin«, antwortete JD.
»Du bist kein Einsiedler, JD. Eher so etwas wie … Mr Darcy.«
»Mr wer?«
Em verdrehte die Augen. »Du weißt schon, aus Stolz und Vorurteil . Zuerst halten ihn alle für unnahbar, weil er nicht gern mit den anderen tanzt und feiert. Doch dann, wenn man ihn erst besser kennenlernt, merkt man, dass er ein Herz aus Gold hat. Und außerdem ein Wahnsinns-Herrenhaus. Und der einzige Grund, warum er nicht tanzen wollte, war, dass er ein miserabler Tänzer ist.«
JD musste lächeln. »Aha, du willst damit also sagen, ich bin kein Einsiedler, sondern bloß ein schlechter Tänzer?«
Em lachte. »Nun ja, das war jetzt nicht gerade der Punkt, auf den ich hinauswollte, aber es ist auch nicht ganz falsch.« Ohne darüber nachzudenken, streckte sie die Hand aus und verpasste ihm einen Stups mit dem Finger.
Er schubste ihren Finger weg und einen Moment lang schien es, als läge etwas Warmes in seinem Blick – der alte vertraute Ausdruck. Am Leuchten seiner Augen konnte sie sehen, dass er, genau wie sie, an all die gemeinsamen Rootbeer-Abende und monumentalen Daumenkriegsschlachten auf dem Sofa dachte. Oder an Silvester in Boston, als er beim Feuerwerk hinter ihr gestanden und ihre Körper sich berührt hatten, sein Atem an ihrem Ohr. Bei der Erinnerung daran breitete sich ein Wärmegefühl in ihrem Bauch aus, bis hinauf zu ihrem Herzen.
Doch dann verfinsterte sich sein Blick wieder. Es war viel passiert seit damals.
»Also«, hangelte sie sich auf der Suche nach neutralem Boden weiter, »worüber schreibst du in deinem Englischaufsatz?«
»Asimov, denke ich«, antwortete er. »Irgendwas darüber, dass Menschen dazu neigen, sich selbst zum Verhängnis zu werden.«
»Das hätte ich mir denken können«, erwiderte Em. JD war schon seit der Middleschool ein glühender Anhänger von Isaac Asimov. Sie erinnerte sich noch an einen gemeinsamen Fount-Winters-Urlaub in Cape Cod im Sommer zwischen der siebten und achten Klasse, als er ihr
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