Im Herzen des Kometen
daß Virginia nicht einmal sein Einverständnis eingeholt hatte. Und er hatte in dieser ganzen verdammten Schicht keinerlei Maschinenunterstützung gehabt! Aber sobald Saul Lintz und seine Wundermethode auf dem Schauplatz des Geschehens erschienen, war alles anders.
Er war ziemlich sicher, daß er nicht weinen würde, wenn die Sache sich als ein Fehlschlag erwiese, obwohl er wußte, daß es töricht war, sich wegen einer persönlichen Abneigung über den Mißerfolg eines Vorhabens zu freuen, das zum letzten Strohhalm geworden war, an dem sich die Hoffnungen klammerten. Er war überreizt.
Jeffers mußte genauso müde sein wie er, aber er grinste und riß Witze, während er die Geräte zum Einsatzgebiet transportierte. Sein kantiges Gesicht gab nicht zu erkennen, wie ihm darüber zumute war, daß man ihn für die Hölle geweckt hatte. Er und Sergejow hatten vom Kälteschlaf noch blaue Augenschatten. Carl sagte zu ihnen: »Macht euch nicht kaputt, Jungs! Immer schön langsam!«
Sie überprüften die Verankerungskabel der Maschinen und brachten die Anordnung in der Mitte des Schachtes in Position. Ferngesteuerte Maschinen hatten das Mikrowellen-Bohrgerät ohne seinen Dreifuß von der Oberfläche bis hierher transportiert. Ohne die Beine hatte es seine frühere spinnenhafte Anmut verloren und war nur noch eine weitere klobige Maschine, der Streben und Rohre in verschiedenen Richtungen entragten.
Ein Stück voraus durchbrachen purpurne Fasern die glatte Innenverkleidung des Schachtes und ragten ins Vakuum.
»Sie bewegen sich nicht«, sagte Lani. Auch sie sah erschöpft aus, und ihre hohe, glockenhelle Stimme hatte winselnde Obertöne.
»Wie lange ist dieser Schacht schon ohne Luft?« fragte Saul.
»Seit Tagen«, sagte Carl.
»Und die Temperatur ist unten? Dann könnte es sein, daß die Würmer in Erstarrung sind.«
»Was für Würmer?« fragte Jeffers undeutlich.
Saul blickte fragend zu Carl, aber der schüttelte nur den Kopf. Na und, dachte er, wir sind alle müde. Wir haben nicht die ganze Zeit in einem bequemen Drehsessel im Labor zugebracht.
»Die größeren Formen wurden offenbar durch austretende Wärme an die Einmündungen, wo die Manschetten mit dem Eis in Berührung kommen, stimuliert«, meinte Saul. »Sobald sie auf der Suche nach mehr Wärme durchbrachen, stießen sie auf unerwarteten Reichtum. Die ausströmende Luft erwärmte sie, und sie wuchsen weiter – solange die günstigen Bedingungen andauerten. Nun ist es hier beinahe so kalt wie das Eis, also sind sie wieder in den Ruhestand übergegangen.«
»Mmmh.« Jeffers starrte geradeaus und kaute abwesend auf seiner Unterlippe. Es war zweifelhaft, ob er etwas davon verstanden hatte.
»Die Würmer brechen überall durch, wo die grünen Schleimalgen wachsen«, sagte Carl. »Das heißt überall, wo es Wärme oder Licht oder Luft gibt.«
Sie verlangsamten, als die Zugkabel sich strafften und die Maschinen die Trägheit des Mikrowellenbohrers überwinden mußten. Um die Stollenmündung 3E ragten knollige Gewächse in den Schacht. Im gelblichen Licht der phosphoreszierenden Flächen schienen sie einen ölig blauen Überzug auszuschwitzen.
»Schön, was?« sagte Jeffers.
»In gewisser Weise, ja«, antwortete Lani, die seine Ironie nicht verstanden hatte. »So seltsam und fremdartig…«
»Philosophie später«, sagte Carl. »Wir müssen sie abtöten.«
»Nein, zuerst möchte ich eine Probe nehmen.« Saul stieß sich ab und prallte ungeschickt gegen die Wand auf der anderen Seite. Carl lächelte boshaft. Sollte Saul seine Fehler machen, er, Carl, dachte nicht daran, Energie zu vergeuden, indem er für andere den Lehrmeister spielte. Und für Lintz zu allerletzt.
»Ich habe diese Dinger noch nicht gesehen. Ich kannte sie nur von Berichten.«
»Großartig! Sie meinen, Sie kennen sie nicht?«
»Nun, wir haben einiges gelernt. Zum Beispiel wissen wir heute, daß es sich nicht eigentlich um differenzierte Organismen handelt, vergleichbar etwa den Säugetieren, den Insekten oder den Wirbellosen. Sie sind mehr wie Quallen oder andere koloniebildende Tiere, wo verschiedene Gruppen unabhängiger Zellen spezialisierte Aufgaben für das Kolonietier übernehmen. Ich habe Stellen wie diese bisher noch nicht gesehen, aber ihre biochemischen Grundlagen können sich nicht einfach verändern, nur weil sie eine Ruhepause in ihrem Wachstumszyklus haben.«
Die beiläufige professorale Arroganz der Antwort wurmte Carl. »Wer sagt das? Woher nehmen Sie die
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