Im Herzen des Kometen
eine kybernetische Maschine der dritten Generation und bewegte deren dünne Spinnenbeine, als wären es ihre eigenen, blickte durch ihre Objektivaugen und glaubte sogar das leise Vorbeistreichen treibender Gasmoleküle als einen Wind im Gesicht zu spüren. Ihre Fingerspitzen bewegten sich behutsam in den handschuhartigen Bedienungselementen der Fernsteuerung, die jedoch nur zur Unterstützung und Korrektur der Gedankenkommandos dienten, durch die sie die Maschine auf dem Eis manövrierte.
Die Methode war erstmals im ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts erprobt worden und hatte zu der Zeit recht vielversprechende Aussichten gehabt, bis mehrere berüchtigte Katastrophen zur Aufgabe der Direktsteuerung von Maschinen durch die neuralen Impulsströme des Gehirns geführt hatten. Wie sich herausstellte, bedurfte es einer besonders disziplinierten Persönlichkeit, um eine Maschine in dieser Art und Weise zu steuern, ohne willkürliche Gedanken und allzu menschliche Reflexe einfließen zu lassen, die unberechenbare Folgen haben konnten. Zu dieser naheliegenden Erkenntnis war man freilich erst nach ebenso naiven wie unbekümmerten ersten Anwendungen in Luftfahrt und Industrie gelangt. Seither galt die Technik als unzuverlässig, und ihre Anwendung war in vielen empfindlichen Bereichen untersagt. Astronauten wie Carl Osborn mißtrauten ihr bis auf den heutigen Tag und gaben Systemen den Vorzug, bei denen die Eingabe durch gesprochene Anweisungen oder Tastendruck erfolgte.
Virginia sah das anders. Einer der Gründe, die sie bewogen hatten, an dieser Expedition teilzunehmen, war der Umstand, daß zum erstenmal seit Jahrzehnten im größeren Umfang von gedankengesteuerten kybernetischen Systemen Gebrauch gemacht werden sollte.
Vasha Rubenchik ist ein echter Genius, dachte Virginia, als sie die Maschine über eine kleine Anhöhe steuerte. Die Russen waren schlecht beraten gewesen, als sie ihn zu dieser Expedition abschoben, von welcher Art seine politischen Ansichten auch sein mögen. Noch nie hatte sie eine so perfekte Gedankenverbindung mit einer Maschine gehabt.
Es war schade, daß Vasha bereits im Kühlfach lag, denn sicherlich hätte er gern gehört, daß er mit seiner geschickten Konzeption und Anlage der neuroelektrischen und holographischen Verbindungen die von ihr vorgegebenen Spezifikationen mehr als erfüllt hatte. Dies allein würde ihnen beiden Lizenzeinnahmen verschaffen, sobald das Datenmaterial zur Erde gefunkt und die nötigen patentrechtlichen Vorkehrungen getroffen wären. Die Einnahmen würden sich auf ihren Konten ansammeln, während sie die vor ihnen liegenden sieben Jahrzehnte verschliefen.
Obwohl Geld für sie nicht an erster Stelle stand, hatte Virginia gesehen, wie nützlich es sein konnte, vor allem, wenn man auf Gebieten arbeiten wollte, für die es keine staatlichen Subventionen gab.
Sie konnte kaum erwarten, daß die Verhältnisse sich nach den Umstellungsschwierigkeiten wieder normalisierten und ihr mehr freie Zeit ließen. Sie wollte einige dieser neuen Techniken in Experimenten mit Johnvon erproben.
Als hätte sie damit ein Signal gegeben, summte ihr eine Stimme im Kopf:
- Ich bin jederzeit bereit, neue Probleme in Angriff zu nehmen, Virginia. Meine Kapazität ist im Rahmen der Mission gegenwärtig nur zu fünf Prozent ausgelastet. Soll ich eine simulierte Persönlichkeit annehmen?
Keine schlechte Idee, dachte sie. Aber wie sollte sie eine Maschine draußen an der Oberfläche steuern, während Johnvon ihr einen Laurence Olivier oder Peter O’Toole oder einen anderen alten Kino-Herzensbrecher auf den Leib rücken ließ?
In der Vergangenheit hatte sie des öfteren Filmschauspieler aus den fernen Tagen, als es noch kein Video gegeben hatte, für Experimente der Persönlichkeitssimulation gewählt, teils aus romantischem Atavismus und teils weil sie den Zeitgenossen kaum noch bekannt und somit besonders gut zu blinden Tests an nichtsahnenden Versuchspersonen geeignet waren. Die Simulationen hatten daheim auf der Erde beinahe jeden getäuscht, obwohl sie noch weit von dem entfernt waren, was Virginia für erreichbar hielt.
»Nicht jetzt, Johnvon. Mutter ist beschäftigt. Wenn du nicht ausgelastet bist, kannst du dich mit den Sekundärproblemen beschäftigen, die ich dir zugewiesen habe.«
- Gut. Dann werde ich weiter die Datenspeicher der Kolonie durchsuchen und feststellen, was die einzelnen Teilnehmer innerhalb der Freigrenze an Privatgepäck mitgebracht haben. Du äußertest Neugierde
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