Im Herzen Des Lichts
Weinbecher nach ihm werfen, hielt jedoch mit einem Grinsen in der Bewegung inne, als Melilot zusammenzuckte. Der Becher erwies sich als leer. Sie blickte über die Schulter, sah aber, daß das kleine Mädchen in der Ecke eingenickt war. Vielleicht, weil sie sich an die Zeit erinnerte, da sie nach dem Abendmahl selbst des öfteren Melilot hatte bedienen müssen, stand sie auf und schenkte sich selbst nach. Nachdem sie einen tiefen Schluck genommen und ihren Becher wieder aufgefüllt hatte, kehrte sie zu ihrem Sessel zurück.
»Also gut.« Sie seufzte. »Es ist wohl das beste, ich erzähle dir Klikitachs Geschichte.«
»Mir ist lieber, du berichtest mir von den Geschäften mit.«
»Dafür ist morgen noch früh genug!« unterbrach sie ihn. »Oder übermorgen.«
»Das hatte ich befürchtet«, knurrte der Meisterschreiber. »Am ersten vollen Tag deiner Besuche in Freistatt hast du doch ständig Wichtigeres zu tun! Falls du es dir diesmal leisten kannst, daß Enas Yorl dir die Narbe auf der Stirn wegzaubert, wirst du weniger erschreckend aussehen, wenn du deine Stirnlocke zurückwirfst.«
»Es stimmt, daß ich vorhabe, Enas Yorl morgen aufzusuchen.« Jarveena blickte nicht ihn an, sondern zu den verblassenden Malereien der Decke, auf die Lampenlicht und Feuerschein der niederbrennenden Scheite merkwürdige, sich überschneidende Muster warfen, daß man meinen konnte, ein Magier belausche sie und würde immer wieder von dem Zauber abgelenkt, der ihn unsichtbar machte. »Doch diesmal nicht meinetwegen.«
»Seinetwegen?« Melilot war so verblüfft, daß er fast den Becher ausschüttete, nach dem er eben gegriffen hatte.
»Du hast es erraten.«
Danach trat eine längere Stille ein, die nur durch leichtes Zischen gebrochen wurde, wenn Dampf aus dem feuchtesten und am längsten brennenden Scheit auf dem Feuerrost entwich.
Schließlich drangen Geräusche von draußen herein: Marschschritte genagelter Stiefel auf Kopfsteinpflaster. Eine der nächtlichen Patrouillen zog vorbei, deren Angehörige hier nach den Maßstäben der Höllenhunde ausgebildet worden waren; trotzdem wagten nicht einmal sie sich allein auf die Straße, so gesetzlos und rebellisch ging es nun in diesem Höllenloch von Stadt zu. Die Gänse waren an ihre Marschschritte gewöhnt und der für die Ordnung seiner Schar zuständige Gänserich reagierte lediglich mit einem verärgerten Zischen darauf.
Nachdem er an den Vorhängen des zur Straße schauenden Fensters den Schein der Patrouillenlaternen kommen und verschwinden hatte sehen, sagte Melilot: »Bist du sicher, daß er dich nicht verhext hat? Voriges Jahr hast du gesagt, daß diesmal dein letzter Besuch bei Enas Yorl, zumindest aus persönlichen Gründen, sein würde. Du sagtest, daß dein Gesicht dann wieder im gleichen makellosen Zustand sein würde wie.« Er hüstelte hinter einer feisten Hand. ».dein übriges Ich.«
»Ich habe es mir anders überlegt«, murmelte Jarveena. »Es ist manchmal ganz gut, wenn man einen unerwünschten Verehrer loswerden kann, und das kann ich, wenn ich das mache.« Sie zog die Brauen herunter und funkelte ihn an. Sofort wurde Melilots Blick wider Willen von ihrem übrigen Gesicht abgelenkt. Wie hypnotisiert starrte er auf die fahle Narbe, die ihre Stirn verunstaltete und ihr hübsches Gesicht unvermittelt in eine Fratze verwandelte, die noch abstoßender war als die gräßlichsten, die sich Freistatts Falkenmasken ausgedacht hatten.
»Bei ihm hast du das nicht gemacht«, meinte Melilot.
»Doch. Anfangs. Es hatte keine Wirkung. Deshalb begann ich mich für Klikitach zu interessieren.« Sie beherrschte die Aussprache der letzten Silbe seines Namens, während Melilot sich eingestehen mußte, daß er ihn dutzendmal und öfter laut und im geheimen würde üben müssen, ehe er es wagen konnte, den Mann direkt anzusprechen.
»Und was folgte dann?« »Die Entdeckung, daß jemandem noch Schlimmeres widerfahren konnte denn alles, was ich als Kind durchmachte.«
Einen Augenblick lang verriet ihr Gesicht, daß alte Erinnerungen sie quälten. Melilot, der wußte, was in ihr vorging, schauderte. Mehrfach vergewaltigt, dann gepeitscht und schließlich vermeintlich tot liegen gelassen worden zu sein, und das im zarten Alter von neun Jahren. War das nicht genug Grauen für ein einzelnes Leben?
Und doch hatte sie jemanden gefunden, der, nach ihrer Meinung, sogar noch mehr erlitten hatte. Welche Abscheulichkeiten hatte Klikitach durchgemacht?
Heiser bat Melilot: »Erzähl mir seine
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