Im Herzen Des Lichts
tat einen Schritt auf ihn zu. Er schien die Entfernung zwischen ihnen nicht zu verringern. Doch sie hatte ohnehin in diesem Augenblick kein Verlangen nach seiner Nähe. »Aber warum ist Klikitach dann an mir vorbeigestürmt, als würde er mich nicht kennen? Er hat mich wie einen lästigen Passanten aus dem Weg geschoben!« Da erinnerte sie sich. »Außerdem habt Ihr gesagt, wenn es Euch gelänge, würde er sterben.«
»Ja, das habe ich. Trotzdem.«
Während sie dieses Rätsel zu verstehen suchte, seufzte er tief.
»Komm her. Ich werde es dir erklären.«
Saal und Tisch zogen sich zu üblicherer Größe zusammen. In Sekundenschnelle fand sie sich genau da, wo sie bei Tagesanbruch gewesen war, auf demselben Stuhl. Unsichtbare Hände, wie immer, hatten ihn in dem Augenblick hinter sie gestellt, als sie ihre Selbstbeherrschung völlig zu verlieren drohte.
Vorsichtig steckte sie ihr Messer in die Scheide zurück und starrte den Zauberer an. Doch wäre nicht das funkengleiche Glühen unter seinen Brauen gewesen, hätte niemand ihn für dieselbe Person gehalten. Vor allem seine Arme waren so wenig den Gliedern eines Menschen ähnlich.
Aber die Stimme war dieselbe geblieben. Die Worte kamen schleppend, als koste ihn jede Silbe ungeheure Anstrengung.
»Es ist mir gelungen, Jarveena. Was es mich gekostet hat, wage ich nicht zu sagen. Vielleicht selbst den letzten Rest Hoffnung, den ich noch tief im Herzen hegte. Ich führte einen Ritus durch, der seit Menschengedenken nie versucht wurde - und ich machte es gut.«
»Mit welchem Ergebnis?« wisperte sie.
»Ich erfuhr den Grund für den Fluch, der Klikitach auferlegt wurde.«
Sie wartete. Als sie das Warten nicht mehr ertrug, forderte sie heftig: »Sagt ihn mir!«
»Das werde ich nicht. Nur eines kann ich sagen: seine Strafe ist gerecht.«
»Das verstehe ich nicht!«
»Versuche es gar nicht. Niemand sollte das. Hätte ich geahnt, welch schier unerträgliches Wissen ich dadurch auf mich lud. Ich hätte nie etwas unternommen, um zu helfen.«
Jarveena ahnte die Bedeutung hinter den Worten und biß sich auf die Lippe. Ungebeten füllten sich ihre Augen mit Tränen, und doch waren sie ihr willkommen, denn sie verschleierten die gräßliche Gestalt, die Enas Yorl annahm.
»Kurz gesagt, hier ist das Geheimnis, das Klikitach vor jedermann und sogar sich selbst verborgen hatte: Seine Strafe ist gerecht. Er hat es mir selbst gestanden.«
»Das kann nicht sein! Niemand könnte ein solches Los verdienen!«
»Bis heute hätte ich das gleiche gedacht«, versicherte ihr Enas Yorl ernst. Er rutschte auf seinem Stuhl, als wäre das Möbelstück für seine neue Gestalt unbequem.
»Aber wie kann er Euch das gesagt haben?« beharrte Jarveena.
»Es war mehr Ahnung und Vermutung, die mich gerade den heutigen Tag dafür wählen ließ, denn exaktes Wissen. Meine Überlegungen stellten sich als richtig heraus. An einem bestimmten Tag in jedem Jahr ist Klikitach imstande, sofern auch die Umstände richtig sind, sich zu erinnern, weshalb er diesen Fluch verdient hat.«
»Sagt es mir! Sagt es mir!« bat sie.
»Selbst wenn du auf Händen und Knien zu mir gekrochen kämst und mich anflehtest, es vor deinem letzten Atemzug zu erfahren, würde keine Beschreibung solcher Abscheulichkeit über meine Lippen kommen!«
Nicht, daß er im Augenblick überhaupt Lippen zum Sprechen benutzte.
»Doch soviel sollst du wissen: Nachdem er sie begangen hatte, besann er sich seiner Schandtat und bereute. Sein Abscheu vor sich selbst ließ ihm keine Ruhe, er wurde sein eigener Richter und verhängte die einzige angemessene Strafe über sich. Er wollte so leiden, daß jeder, der von seiner Untat gehört hatte und vielleicht versucht sein könnte, sie nachzuahmen, auch von der Strafe hören mußte, die dem Unhold, der sie ausgeführt hatte, nun zuteil war, und es sich anders überlegte. Er hatte dabei nur nicht bedacht, daß die Zeit kommen würde, da solche möglichen Nachahmer längst tot und alle Opfer seiner Schandtat vergessen sein würden. Deshalb fiel sein Urteil über alle Vorstellung grausam aus - außer für jemanden, der schändlich war bis in die tiefste Faser seines Herzens.
Er bestimmte es so, daß er für alle Zeit überzeugt sein würde, er habe nichts getan, um ein solches Los zu verdienen. Vielleicht gewährt das Einblick in die Ungeheuerlichkeit seiner Schandtat.«
»Was kann er nur getan haben?« rief Jarveena.
»Du wirst es nie ahnen. Es liegt nicht in deinem Wesen, dir eine so
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