Im Herzen Rein
Staatsanwältin hat mich gebeten, meinen Urlaub abzubrechen.«
Unwirsch gab er nach: »Der Fall ist heute um neun reingekommen. Die Ermordete ist noch nicht identifiziert. Sie sitzt auf einer Parkbank. Ist aber nicht hier umgebracht worden, wie Kirch meint.« Aus seinem Mund klang es nach einem alltäglichen Mordfall. »Wir haben alles im Griff, Paula. Du kannst deine letzten Urlaubstage genießen.«
»Herbert, ruf die Gerichtsmedizin an und bitte um einen Obduktionstermin für 14.30 Uhr! Ich werde dort sein.« Justus schien geschockt, aber bevor er etwas sagte, fügte Paula hinzu: »Staatsanwältin Gregor werde ich selbst benachrichtigen. Also dann bis morgen früh bei der Besprechung.« Sie drückte das Gespräch weg.
Dann rief sie ihre Freundin an. »Ich sitze bereits im Zug und komme 14.07 Uhr an. Die Obduktion habe ich um 14.30 Uhr angesetzt.«
»Hoffentlich kann er dann.«
»Wer?«
»Professor Posch. Er wird sie selbst durchführen. Ich habe mich persönlich darum bemüht. Ich will mit den Besten zusammenarbeiten. Wir können uns keine Fehler leisten.«
Die typische Unsicherheit des Neulings, dachte Paula, die Besten als Allheilmittel. »Wenn es ihm nicht passt, sag mir bitte, welche Zeit er vorschlägt.« Ihr Ton war kühl.
»Ich hole dich vom Bahnhof ab«, sagte Chris und verabschiedete sich.
Paula sah, wie ein Bauer mit dem Trecker seine Egge über das Feld zog. Eine Staubwolke folgte ihm.
Chris fing schon an, sich einzumischen.
Die gestörte Ordnung der Dinge erregte Paula. Auf einer Parkbank zu sitzen war Ausdruck alltäglichen Lebens, und den hatte der Killer benutzt, um mit einem Mord zu schockieren. In nächster Zeit würde sie sich immer wieder fragen, was macht der Täter gerade? Auf diese Weise würde er bei ihr sein. Ralf hatte sich schon ein paarmal beklagt: Du lebst mehr mit dem Mörder als mit mir. Sie wusste aber, so würde sie ihm näherkommen, Schritt für Schritt. Wie würde er sich ihr das erste Mal zeigen? Ein Satz Sigmund Freuds kam ihr in den Sinn. »Wer, wie ich, böse Dämonen aufweckt, um sie zu bekämpfen, muss darauf gefasst sein, dass er in seinem Ringen selbst nicht unbeschädigt bleibt.« Paula fühlte deutlich, dass sie diesmal bereit sein müsste, Schaden in Kauf zu nehmen. Schaden, der vielleicht auch ihre Freundschaft zu Chris betreffen würde?
Die Landschaft hatte sich verändert, Kartoffelfelder wechselten mit Mischwäldern. Als der Wald aufhörte, kam hinter einer Kiesgrube ein Stoppelfeld, auf dem Kinder Drachen steigen ließen.
Ihre Gedanken kehrten zu Chris zurück. Freundschaften zwischen Polizisten und Staatsanwälten gab es selten. Eigentlich waren es zwei Klassen. Selbst in der Freizeit waren die Welten verschieden, in denen sie sich normalerweise bewegten. Außer auf den Weihnachtsfeiern und Sommerfesten traf man sich nicht außerhalb des Dienstes.
Sie hatte Chris vor vier Jahren auf einer Vernissage kennengelernt. Eigentlich hatte Paula keine Lust gehabt, dort hinzugehen, solche Events waren nicht ihre Sache. Aber Ralf hatte sie überredet. Sie zog sogar das enge grüne Kleid an, das er ihr gerade geschenkt hatte, und die Sandaletten mit den hohen Absätzen.
Die Galerie war in der Dircksenstraße in Mitte, und sie fanden keinen Parkplatz in der Nähe. Sie liefen Arm in Arm, und Ralf passte sich ihrem Schritt mit den hohen Absätzen an. Die Galerie in den S-Bahn-Bögen war voll mit Besuchern. Ralf traf gleich Kollegen, und sie sah sich die Bilder an. Sie waren großformatig und zeigten Männer und Frauen in verschiedenen Posen, die Szenen waren mit Texten versehen wie bei Comics.
»Sie sind die Einzige, die sich die Bilder ansieht. Sie sind bestimmt Kunstkritikerin.« Eine Frau, Chris nämlich, hatte sie mit offenem Blick angelächelt.
»Nein, ich verstehe wenig von Kunst. Aber dieses Bild hier gefällt mir. Ihnen auch?«
»Ja, schon. Ehrlich gesagt, interessieren mich mehr die Menschen. Und wenn ich irgendwo allein bin, schaue ich mich um und überlege mir, mit wem ich gerne sprechen würde. Da habe ich Sie entdeckt.«
»Danke«, sagte Paula. »Dann haben Sie mit der Branche wohl auch nichts zu tun?«
»Nein. Haben Sie Lust auf ein Glas Wein?« Sie gingen zusammen zum Getränketisch. »Ich stelle immer wieder fest, dass es mehr Frauen mit interessanten Gesichtern gibt als Männer. Finden Sie nicht auch?«
Paula wusste dazu nichts zu sagen, sie hatte solche Betrachtungen noch nicht angestellt. »Es käme wohl darauf an, was ein Gesicht
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