Im Herzen Rein
Stufen herunterkam, um schneller unten zu sein.
»Du siehst erholt aus.«
Paula fasste ihr an die Hüfte. »Und du hast kein Gramm zu viel. Hallo.«
»Mit erholt meine ich: braun gebrannt und entspannt.«
»Nur bis ich auf der Waage war.«
»Das Problem mit den Pfunden hast du nur, weil du sonst keine Probleme hast.«
Paula verzog das Gesicht. »Probleme habe ich genug. Aber lassen wir das leidige Thema.«
»Probleme, mit denen du nicht fertig wirst, hast du nicht«, beharrte Chris. »Gut, lassen wir das.«
Sie dachte daran, wie unterschiedlich sie in Temperament und Intellektualität waren. Paula erledigte die Dinge, wie sie kamen, während Chris sich auf Ziele ausrichtete. Paula handelte intuitiv, während Chris Konzepte ersann. Paula amüsierte sich manchmal über diese »Konstruktionen«, weil sie meinte, die Dinge ergäben sich aus einer inneren Logik. Sie war praktisch orientiert, Chris liebte Theorie und geistige Abenteuer, Paula war Handwerkerin. Darin sah Chris den eigentlichen Grund, weshalb Paula nach dem zweiten Semester Jura das Studium abgebrochen hatte, um Polizistin zu werden. Der theoretische Unterschied zwischen Totschlag und Mord, worüber Chris ihre Doktorarbeit geschrieben hatte, interessierte Paula nicht. Sie wollte den Mörder stellen. Paula war wahrscheinlich auch nur deswegen nicht mit Ralf verheiratet, weil er ihr nie mal in netter Form einen Heiratsantrag gemacht hatte. Dabei würde sie mit einer Einladung beim Italiener an der Ecke zufrieden sein. Chris bräuchte für einen Heiratsantrag mindestens Venedig mit Gondeln und Flair.
Sie gingen zu dem Mini Cooper, den Chris hinter dem Hauptbahnhof geparkt hatte.
»Lass uns mal wieder Tennis spielen«, schlug sie vor, weil Paula so unzufrieden mit ihren zusätzlichen Pfunden aus dem Urlaub war. Paula spielte nicht so lange wie sie, war aber begabt. Sie reagierte schnell und hatte ein gutes Auge. Das ist angeboren, hatte sich Chris nach einer Niederlage getröstet, als sie mal einen schlechten Tag hatte.
»Tennis? Okay. Nach der Verhaftung. Abgemacht.«
»Mit Revanche. Abgemacht.«
»In welchen Medien war es schon?«
»In allen Mittagsmagazinen.«
»Lokal?«
»Überall. Die Frau im blauen Kleid ist die heiße Nachricht, wohin du schaust. Bringen wir deine Sachen erst zu dir?«
»Lass uns gleich zur Charité fahren - sie ist doch um die Ecke.«
Chris hatte die Antwort erwartet und fuhr schon in diese Richtung.
»Justus ist bei Posch, um ihn über die Ermittlungsergebnisse zu informieren.«
»Ach? Welche denn?«, fragte Paula belustigt. Typisch Justus, dass er sich an den Prof ranschmiss, auch wenn es noch nichts zu berichten gab.
Chris bog rechts in die Invalidenstraße ein und fuhr am Museum Hamburger Bahnhof vorbei. »Tut mir leid, dass ich dir den Urlaub versaut habe.«
»Hast du nicht. Er war wunderbar. Außerdem ist es besser, wenn ich gleich da bin. Es ist dein erster Mordfall, da kannst du Unterstützung gebrauchen.«
Chris ließ diese Bemerkung so stehen.
»Wieso macht Kirch eigentlich nicht die Obduktion?«
»Posch war eine Empfehlung von Professor Bach.« Sie warf Paula einen kurzen Blick zu. »Spezialist für forensische Psychiatrie.«
»Und was hat der damit zu tun?«
Chris hupte kräftig, weil jemand sie abdrängte. »Idiot! - Bach ist auch Profiler. Ausgebildet beim FBI.«
Paula fand sich in ihrem Vorurteil bestätigt. Chris als Vorgesetzte war nicht nach ihrem Geschmack. Sie hatte nicht nur eingegriffen - wie sie vorher schon befürchtet hatte -, sondern sogar einen Übergriff gemacht; sie hatte Posch eingesetzt und bemühte sich um einen Profiler. Chris hupte noch einmal. Paula wusste, dass sie mit weiteren Überraschungen zu rechnen hatte.
Sie waren jetzt da. Paula wiederholte ihre Frage, was Bach mit dem Fall zu tun habe, nicht noch einmal, sondern stieg rasch aus.
8
Es war kurz vor halb drei, als sie die Eingangshalle der Charité betraten. Paula kannte den Weg. Sie würden pünktlich im Sektionssaal sein, wenn sie noch einen Schritt zulegten.
Im Aufzug lehnte sich Chris gegen die Wand und streckte ihre Wirbelsäule. Der Tag war für sie eine Herausforderung, mit der sie in dem Maße nicht gerechnet hatte. Weil sie die Stille nicht aushielt, fragte sie: »Kennst du Posch? Er ist ein attraktiver Mann.«
»Ja. War das der Grund, weshalb du ihn haben wolltest?« Ihr Ärger ließ sie das fragen, aber sie lenkte gleich auf ein anderes Thema. »Das ist sicher deine erste Autopsie.«
Chris nickte.
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