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Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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einen Aufwand betrieben hat, um nicht geschnappt zu werden?«
    »Er ist Arzt. Keiner weiß besser, dass eine DNA-Spur keinen Ausweg lässt. Wir sollten ihm das gleich sagen. Ich wette, dann kommt er ohne Theater mit.«
     
    Als sie sich im Sekretariat der Chirurgie nach Dr. Mendel erkundigten, wurde ihnen gesagt, dass er gerade operierte.
    »Gut«, sagte Paula, »dann warten wir.«
    Die Sekretärin bat sie, draußen Platz zu nehmen, aber Paula bestand darauf, direkt vor dem OP-Saal zu warten.
    Man wusste nicht, wie lange die Operation dauern würde. Sie saßen auf einer Bank im Flur, und Paula konzentrierte sich zum Zeitvertreib auf die Geräusche um sie herum. Nach einer Weile hatte sie heraus, dass die schnellen Schritte den Ärzten zuzuordnen waren, die etwas weniger schnellen den Schwestern und die langsamen den Patienten. Einmal begegneten sich zwei Ärzte, blieben stehen, sprachen leise miteinander und rannten dann weiter. Als die Tür endlich aufging und jemand im weißen Kittel erschien, war es nicht Mendel. Sie warteten weiter. Als er dann herauskam, war er in Begleitung eines Kollegen.
    Paula stand auf und stellte sich ihm in den Weg. »Herr Dr. Mendel.«
    »Ja?«, fragte er unwirsch.
    Sein Kollege nickte ihnen flüchtig zu und ging weiter.
    Paula hielt Mendel den Haftbefehl hin. »Die Spuren im Mordfall Johanna Frenzi legen den zwingenden Verdacht nahe, dass Sie sie getötet haben. Wir müssen Sie bitten mitzukommen.«
    »Wie kommen Sie auf diesen Blödsinn?«
    »Herr Dr. Mendel, wenn Sie jetzt keine Schwierigkeiten machen, verzichten wir auf Zwangsmaßnahmen, und Sie können uns auf dem Präsidium alles in Ruhe erklären. Die DNA-Vergleiche belasten Sie eindeutig.«
    Marius hatte recht, nun gab er nach, wollte sich vorher aber noch umziehen. Paula lehnte ab. Sie wollte kein Risiko eingehen - der Mann war intelligent und gefährlich. »Wir werden Ihre Frau verständigen, die kann Ihnen alles bringen.«

39
    Chris schaute durch die Glasscheibe, die auf Mendels Seite wie ein Spiegel aussah. Sie war ins Präsidium gekommen, um festzustellen, ob sie ihn kannte oder ob sie ihn zumindest schon einmal gesehen hatte, etwa, als er sie beobachtete. Er saß auf einem Hocker in der Mitte des leeren Raumes. Er war mittelblond, hatte dichtes Haar, markante Gesichtszüge und eine drahtige Figur. Die Brille gab ihm etwas Intellektuelles, aber Chris bezweifelte, dass er ein Feingeist war. Die Farbe seiner Augen konnte sie nicht erkennen, weil sich das Licht in den Brillengläsern spiegelte. Ihr fiel nicht ein, wo und wie er sie hätte beobachtet haben können.
    Chris sah auf das Papier in ihrer Hand. Mendel war am 15. Oktober 1974 geboren, also Waage. Jemand hatte mit Bleistift dahintergeschrieben: Aszendent Skorpion. Sie kannte sich mit Astrologie nicht aus. War man als Waage nicht harmoniebedürftig und konfliktscheu? Zum Skorpion fielen ihr die Stichworte pedantisch und kämpferisch ein, auch selbstquälerisch.
    Mendel erinnerte sie an jemanden. Vor Jahren war sie auf einem Seminar zur Strafrechtsreform in Wiesbaden gewesen. In dem Hotel tagte gleichzeitig ein Medizinerkongress, und abends kredenzten Winzer aus der Umgebung ihre Weine. Juristen und Mediziner waren nach und nach zur Weinprobe eingetrudelt, und schließlich war sie mit einem Assistenzarzt auf ihrem Zimmer gelandet. Er war noch in der Ausbildung und wollte Chirurg werden. Am nächsten Morgen war er verschwunden. Im Spiegel entdeckte sie blaue Flecken und Bissmale an ihrem Körper. Sie hatte den Typen nie wieder gesehen und diese unangenehme Erfahrung verdrängt. Noch heute schämte sie sich für diese Nacht, auch wenn der Seminar-Stress und der anschließende Alkohol schuld an dieser anonymen Erfahrung gewesen waren. So etwas war ihr nie wieder passiert. Es wäre absurd, wenn das Mendel gewesen sein sollte. Er wirkte adrett und sah nach guten Manieren aus. Er hatte in zehn Semestern sein Medizinstudium durchgezogen, dann die Fachausbildung zum Chirurgen und war nun Oberarzt mit zweiunddreißig.
    Paula und Tommi schleppten einen Tisch herbei, und als Paula zu ihr herüberblickte, schüttelte sie den Kopf, um zu signalisieren, dass sie Mendel nicht kannte. Die beiden trugen den Tisch in den Verhörraum. Paula bat Mendel, aufzustehen und den Hocker beiseitezuschieben, um den Tisch in die Mitte zu stellen. Marius brachte zwei Stühle und platzierte das Mikrofon mit dem Rekorder. Paula reichte Mendel ein Papier und bat ihn zu unterschreiben, dass er mit der

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