Im Herzen Rein
niemand etwas ahnte. Sie warf einen Blick zu dem Wachbeamten, der auf einem Stuhl neben der Tür saß, seine Uhr abgenommen hatte und sie auf umständliche Weise stellte.
»Wussten Sie, dass Johanna Frenzi Krebs hatte?«
»Davon hat sie nichts gesagt.«
»Obwohl Sie ein gutes Verhältnis hatten - wie Sie sagen -, hat sie Sie als Arzt nicht um Rat gefragt?«
»Die Menschen sind verschieden.«
»Wir waren inzwischen in Ihrem Appartement. Da haben wir Stricke zum Fesseln gefunden. Sowohl Silvia Arndt als auch Johanna Frenzi hatten Fesselungsspuren um beide Handgelenke. Die Spuren waren vier Millimeter breit, das entspricht dem Durchmesser Ihrer Stricke.«
Mendel schwieg.
»Johanna Frenzi wollte keinen Sex mehr mit Ihnen haben. Für sie war Schluss zwischen Ihnen. Sie haben zugegeben, dass Sie Gewalt anwenden mussten, um sie dazu zu bringen.«
»Kommt drauf an, was man unter Gewalt versteht. Auf jeden Fall nicht so rabiat.«
»Ein Schlag auf die Nase ist rabiat, Herr Mendel. Außerdem lag eine große Rolle Klebeband auf dem Stuhl. Wozu brauchten Sie das?«
»Damit hatte ich das Fenster abgeklebt, weil es zog.«
»Wir werden prüfen, ob sich Klebespuren von dem Band an Ihrem Fensterrahmen finden. Wir haben bereits Spuren von Klebeband gefunden, und zwar am Mund von Johanna Frenzi.«
»Klebeband kann jeder überall kaufen. Das ist ein Massenprodukt.«
»Neben den Stricken und dem Klebeband lagen Pornos, in denen gefesselten Frauen der Mund zugeklebt ist.« Paula sah ihn durchdringend an.
Er zuckte mit den Achseln. »Sexpraktiken, die Ihnen privat vielleicht fremd sind. Aber als Polizistin sollten Sie schon mal davon gehört haben, dass es so etwas gibt und dass es nichts Ungewöhnliches ist.«
Natürlich wusste sie von diesen Vorlieben und dass es öfter vorkam, als die Statistiken es auswiesen, doch hier passte es ins Verbrechensbild.
»Gehörte es auch zu Ihren Sexpraktiken, die Opfer anschließend zu töten?«
»Ich habe niemanden getötet. Wozu auch?«
»Eifersucht? Um sie für immer zu besitzen?«
»Wer will schon Frauen für immer besitzen - und auch noch gegen ihren Willen.«
»Sexualtäter wie Sie.«
»Mich interessiert das nicht die Bohne. Ich muss keine fremden Frauen besitzen. Ich habe eine Frau, die alles tut, was ich will.«
»Herr Mendel, Ihre Frau erzählte mir, dass Sie ihr neulich ein Parfum geschenkt haben. Erinnern Sie sich noch, welches es war?«
Mendel zog die Augenbrauen zusammen und musterte sie angestrengt. Entweder versuchte er sich an den Namen des Parfums zu erinnern, oder aber er überlegte, was Paula mit dieser Frage bezweckte.
Paulas Frage ging davon aus, dass er als Täter nicht nur wusste, was Johanna Frenzi in ihrer Handtasche gehabt hatte, sondern dass er das Parfum hineingesteckt hatte. Also musste er es auch gekauft haben - oder das Parfum war wirklich Johanna Frenzis gewesen, und sie hatte es dabeigehabt.
Er würde sich wohl an den Namen erinnern, denn immerhin hatte er sie damit eingesprüht und es in ihre Handtasche gelegt, die er im Kino neben sie stellte. Falls er es selbst gekauft hatte, müsste er sich umso mehr an den Namen erinnern.
»Chanel N° 5«, sagte er.
Bingo. Natürlich war das kein Beweis, aber es wäre auffällig, wenn er das Parfum seiner Frau dagegen nicht kennen würde. »Wissen Sie, welches Parfum Ihre Frau normalerweise benutzt?«
Er warf ihr einen eisigen Blick zu. »Keine Ahnung.«
Er kannte das Parfum von Johanna Frenzi, aber nicht das seiner Frau.
»Kennen Sie als Arzt den Verlauf von Leichenstarre?«
»Ja.«
»Eine solche Kenntnis brauchte der Täter.«
»Na und?«
Sein frecher Ton war neu. Er will demonstrieren, dass man ihm nichts anhaben kann, dachte sie.
»Vielleicht sollte Ihr Anwalt dabei sein, damit ich ihm erklären kann, wie ungünstig Ihre Verteidigungstaktik ist.«
»Vielleicht.«
»Wollen Sie hier nicht raus?«
Er lächelte, nahm seine Brille ab und schaute, ob die Gläser verschmiert waren. Dann setzte er sie wieder auf und sagte: »Sie werden mich nicht mehr lange halten können.«
Paula hatte gehofft, sie würde ihn heute Nachmittag weichklopfen, aber das Gegenteil war der Fall - er wurde immer widerspenstiger. Heute würde ihre Mühe sicher vergeblich sein. Sie wollte gerade die Vernehmung abbrechen, als ihr Handy surrte.
45
Chris legte den Hörer auf und sah aus dem Fenster. Sie schob ihren Schreibtischstuhl zurück, stellte die Füße gegen die Schreibtischkante und kippte ihren Stuhl nach hinten. Sie
Weitere Kostenlose Bücher