Im Herzen Rein
der Geschlechtsverkehr stattgefunden hat, lässt sich auf die Stunde nicht sagen«, antwortete Paula schroff. »Aber er kann nicht vor der Nacht der Entführung stattgefunden haben, sonst hätte die Gerichtsmedizin die Spermien nicht mehr identifizieren können. In dieser Nacht aber hat Johanna Frenzi bis ein Uhr gearbeitet, hat dann das Lindencafé verlassen und ist nicht mehr aufgetaucht. Dass sie das Café während der Arbeitszeit verlassen hatte, um mit Mendel Sex gehabt zu haben, schließen die Zeugenaussagen aus.«
»Wenn Sie recht hätten, dass die Spermien vom Täter stammen, würde das mein Persönlichkeitsprofil zerschlagen.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Justus.
»Meiner Meinung nach entspricht es dem Täter nicht, in die Frauen zu ejakulieren. Er würde es als ein ›Sichverschwenden‹ empfinden. Er verachtet Frauen. Er wird seinen Opfern, die er foltert, nicht sein Bestes, seine Erbinformationen, überlassen.« Alle sahen ihn mit skeptischem Vorbehalt an. »Es gibt Untersuchungen darüber. Nicht wenige Männer empfinden so.«
Wie sollte sie als Frau dagegen argumentieren? Es schien ihr übertrieben, auch im Hinblick auf andere Vergewaltiger. Selbst die Männer im Team schienen Bach in diesem Punkt nicht zu folgen. Aber es kam kein Widerstand. Sie scheinen über ihr »heiliges Gut« nachzudenken, dachte Paula spöttisch und wartete darauf, was Bach zu der Barbiepuppe sagen würde, denn dies war der wirkliche Schwachpunkt in der Beweiskette gegen Mendel. Sie wusste, dass Mendels Anwälte hier ihre Verteidigung aufbauen würden. Wie oft hatte sie erlebt, dass anderen Mordkommissionen ein Schuldiger wieder aus dem Gerichtssaal spaziert war und in der anschließenden Pressekonferenz Hohn über die Polizisten ausgeschüttet wurde, weil dem Richter ein entscheidender Beweis gefehlt hatte. Ihr war das noch nicht passiert, und es sollte auch in Zukunft nicht passieren. Eine solche Niederlage vor Gericht war noch frustrierender, als den Täter nicht ausmachen zu können. Alles lief auf den Prozess hin, das war die Show, das ausgetüftelte Argumentieren um Details, auf das sich die Medien stürzten. Stellten sich die Ermittlungen als schlampig heraus, konnte das sogar zu Disziplinarverfahren gegen das Team führen. Und es war die Barbiepuppe mit dem Gesicht der Staatsanwältin im Medaillon, die Paula in diesem Fall irritierte. Sie hatten Mendels Terminkalender für die Zeit, als Chris im Guggenheim war, überprüft - er hatte angegeben, in der Kantine gewesen zu sein, ohne Zeugen nennen zu können. Das Foto war eine Fotomontage - wo könnte er die gemacht haben? Zu Hause hatte er keinen Computer, und er schien auch im Krankenhaus keinen zu benutzen. Sie hatten sogar sämtliche Fotoläden abgeklappert, ohne Ergebnis. Er war ein zwanghafter Sexualtäter, aber warum sollte er der ermittelnden Staatsanwältin so umständlich drohen? Als habe Bach ihre Gedanken gelesen, sagte er: »Ich kann mir zudem nicht vorstellen, dass Mendel die ermittelnde Staatsanwältin heimlich verfolgte, um ihr in einer schwer durchschaubaren Situation eine Barbiepuppe ins Schließfach zu legen. Außerdem wurden bei ihm auch keine Zeitungsartikel oder anderes Material zu dem Fall gefunden, das darauf hingedeutet hätte, er habe die Ermittlungen verfolgt oder habe ein wie auch immer geartetes Interesse an Frau Gregor. Wir haben nicht einmal einen Beweis, dass er sie kennt oder dass sie ihm je begegnet ist. Nicht wahr?« Mit der letzten Frage wandte er sich an die Staatsanwältin.
»Ja, so ist es«, sagte sie.
Paula schaute sie an und fragte sich, ob sie nun an Heiliger dachte, auch wenn er längst ein Alibi hatte. Aber immerhin hatte sie bei ihm im Atelier eine Barbie gesehen, und er war mit ihr im Guggenheim verabredet gewesen. Aber die Kollegen in Hamburg hatten ja herausgefunden, dass er sich zu der fraglichen Zeit in der Hansestadt aufhielt und demnach die Barbiepuppe nicht in dem Fach deponiert haben konnte.
Als sie am Ende der langen Sitzung Chris hinausbegleitete, meinte die, auf diesen Schreck hin bräuchte sie einen Scotch. Paula gab dem Team noch ein paar Arbeitsanweisungen und begleitete Chris zu Angelo.
»Wenn Hubertus recht hat, läuft der Killer noch frei herum. Na servus«, sagte sie genervt.
Paula musste über das trockene »Na servus« lachen.
»Du lachst auch noch.«
»Warum nimmst du das überhaupt ernst? Dein Hubertus und seine Theorien. Erst war der Täter ein ruhmsüchtiger Künstler, und nun kommt er
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