Im Herzen Rein
aufgezogen und gestikulierte mit den Händen, ihr Parfumduft füllte den Wagen, sie war aufgekratzt und plapperte über die Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums, die von dem chinesisch-amerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei entworfen wurde. »Er ist ein Meister des Lichts und des Raumes, ein Magier. Er ist über neunzig, aber zukunftsweisender als die Jungen.« Dann ließ sie sich über den gläsernen Turm aus. »Er ist wie eine Schnecke gedreht, und der Innenraum hat einen besonders ausgetüftelten Klimaschutz.«
Paula fand das absolut schräg, aber sie wusste, dass Menschen nach einem Schock mit Übersprungshandlungen reagieren. Dazu gehörte auch, dass sie viel reden oder plötzlich einschlafen.
Aber Paula hatte genug von dem Gerede über Architektur. »Vielleicht wird Ralf da auch mal ausgestellt.«
»Ralf? Heiliger ist ein epochemachender Künstler. Er wird ein Markenname werden wie Coca-Cola. In seinen Installationen entlarvt er die Oberflächlichkeit unserer Welt. Seine Anklage hat zu Recht Erfolg.«
Paula wunderte sich, dass Chris so informiert war. Kunst schien ihr neues Hobby zu sein.
Am roten Teppich drängelten die Fotografen hinter der Absperrung. Sie blitzten gerade VIPs, die vor ihnen gingen und die von den Mädchen mit den Gästelisten durchgelassen wurden. Auch Paula und Chris wurden sofort hineingebeten, weil Ralf sich mit Begleitung angemeldet hatte. Chris verschwand in der Menschentraube vor der Garderobe.
Paula machte einen langsamen Rundgang, um einen Eindruck von der Veranstaltung und den Räumen zu gewinnen. Sie dachte auch, sie würde Ralf treffen, sah ihn aber nicht. Aber sie traf Antonia, die nette Freundin des heutigen Stars, der man die Schwangerschaft heute schon deutlicher ansah. Antonia winkte Paula zu und kam herüber. Das kurze Kleid aus schwarzem Samt mit dünnen Trägern und die roséfarbene Organza-Jacke ließen sie zart erscheinen. Das hochgesteckte Haar gab ihr Gesicht frei, ihre Augen leuchteten. Ein Bild anziehender Sanftmut. Des wilden Künstlers Sonnenschein, dachte Paula. Antonia nahm sie in den Arm, und Paula fragte, wie es ihr und dem Baby gehe.
»Gut, sehr gut. Bald werde ich seine ersten Bewegungen spüren.« Dabei strich sie sich mit der typischen Geste werdender Mütter über den Bauch.
»Wo ist denn der große Künstler?«
»Gute Frage. Alle sind da, nur er nicht. Er wird auch nicht erscheinen. Ich darf es eigentlich niemandem sagen. Also, pscht«, sie legte den Zeigefinger auf die Lippen, »er hat sich im Atelier verschanzt.« Sie schaute in die Menge. »Alle sind da, von überall, nur die Hauptperson fehlt.« Sie lachte. »Der Direktor und der Gastgeber halten bereits ihre Reden und werden die Show ohne ihn eröffnen.«
Jetzt fiel Paula auf, dass eine Rede über Lautsprecher übertragen wurde, aber sie konnte nicht feststellen, wo der Sprecher stand.
Aus einer Gruppe löste sich eine Dame in Pink, mit Stiefeln aus Kuhfell, und kam auf Antonia zu. Sie stellte sie als Redakteurin beim ART Magazine vor und sagte, Paula sei die Frau von Ralf Kleen, doch die Redakteurin überhörte das. »Wo ist der Künstler?«
»Er erscheint nicht«, sagte Antonia.
»Alle sind da, nur er nicht«, ereiferte sich die Redakteurin. Anklagend blickte sie in die Runde. »Der Tycoon hat gesprochen, die Show ist eröffnet - aber die Hauptperson fehlt.«
Inzwischen waren noch einige Personen herangetreten. Ein Herr im schwarzen Anzug mit weißem T-Shirt und grau meliertem Haar meinte: »Wahrscheinlich will er sich mit dem Entzug wichtigmachen. Aber was taugen solche Taktiken heutzutage noch? Sollten wir nicht das Blut und den Schlachtabfall, das alles auch der Provokation diente, eintrocknen lassen? Und die Otto Muehls und John Isaacs gleich mit? Hängen uns diese ästhetischen Ausrufezeichen nicht zum Halse raus?«
Antonia antwortete sanft: »Gehen Sie durch die Ausstellung. Die Werke werden Sie berühren. Man sieht es den Besuchern an.«
Antonia tat Paula leid, aber sie wusste nicht, wie sie ihr hätte zur Seite stehen können. Sie konnte ihr schlecht davon abraten, Heiliger zu verteidigen, zumal sie sah, wie entschlossen sie dazu war.
Sie erblickte Chris und verabschiedete sich mit einer Geste von Antonia.
Chris erzählte, dass sich neuerdings eine Arbeit Heiligers im Schottischen Nationalmuseum für Moderne Kunst direkt neben einem Warhol befinde.
Sie kann sich freuen wie ein Kind, dachte Paula, das ist ihr Schutz bei all dem Trouble. Gut, dass sie das
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