Im Herzen Rein
auch jetzt nicht verloren hat. »Es ist doch seltsam«, sagte sie, »dass Heiliger die Party verpasst. Für ihn wird das doch alles veranstaltet.«
»Er ist doch viel präsenter dadurch, dass er nicht erscheint. Jeder redet über ihn«, sagte Chris.
Paula lachte über diese Logik. »Wahrscheinlich hast du recht.«
Jemand winkte Chris zu, und im nächsten Moment war sie bereits verschwunden.
Paula stand vor einer Installation, die Ein unschlagbares Gefühl hieß . Ein begrenzter Bereich war mit Hausrat vollgestellt, in der Mitte ein Polstersessel. Auf ihm saß eine Barbiepuppe, aber es war genug Platz für einen wagemutigen Besucher, auf den dann der Lauf eines Maschinengewehrs gerichtet sein würde. Paula hörte ein Gespräch zwischen zwei Männern, die die Installation betrachteten. Der eine sammelte offenbar Barbiepuppen und bedauerte, dass dieses alte Exemplar, das er noch nicht in seiner Sammlung hatte, in die Installation eingebaut war. Er erklärte, dieses Modell gehöre zu der Spezialreihe, die die Firma Mattel nur für Sammler herausgebe. Paula dachte gerade an die Barbie in Chris’ Schließfach, als der Sammler sie unvermittelt an den Schultern fasste und sie zur Sitzfläche schob, damit sie sich neben die Puppe setze. Dabei zitierte er den Text neben dem Sessel: »Es besteht die minimale Chance, dass das Maschinengewehr in dem Moment losfeuert, wenn Sie Platz nehmen.«
Paula befreite sich aus dem Griff und sagte: »Ich lasse mich nicht in eine Schusslinie schieben.«
Triumphierend sagte der andere zu seinem Kumpel:
»Siehst du, es funktioniert«, und griente Paula breit an. Sie hasste solche Typen, die so derb waren wie Betrunkene auf dem Schützenfest.
Sie wollte gerade weitergehen, da kam Ralf durch die Besuchermenge auf sie zu, begrüßte sie und dozierte dann, die Installation erinnere an die Nähe des Todes im Alltag. Paula funkelte ihn böse an, und er fragte unsicher, ob er etwas Falsches gesagt habe.
»Ich brauche diesen Jahrmarkt nicht, um an die Nähe des Todes erinnert zu werden.« Es kam schroffer, als sie es beabsichtigt hatte.
»Ja, ich weiß, dein Beruf, mein Gott.« Ralf war genervt.
Jetzt bereute sie ihre Schroffheit nicht mehr. »Jemand ist in unsere Wohnung eingedrungen und hat Kasimir mit einem Bratspieß erstochen. Könnte das dein Freund Heiliger gewesen sein, um uns an die Nähe des Todes im Alltag zu erinnern?«
Ralf starrte sie entgeistert an. Plötzlich hatte sie ihre Wohnung wieder vor Augen. Die Küche, ihren Kater und ihren Schock, der sich jetzt Luft zu machen drohte. Tränen stiegen in ihr auf. »Entschuldige«, quetschte sie hervor, drehte sich ab und boxte sich durch die Leute zum Klo. Sie schloss sich ein, setzte sich auf den Toilettendeckel und atmete durch. Sie musste einen Moment allein sein. Dann ging sie zum Waschbecken, hielt ein paar Papiertücher unters kalte Wasser und kühlte ihre Stirn. Ralf kam herein, nahm sie in die Arme und hielt sie fest. Seine Körperwärme beruhigte sie. »Das mit Kasimir ist ja furchtbar.«
»Ja.« Sie sah ihn an. »Komm, lass uns raus hier.«
Als sie aus der Damentoilette kamen, erspähte Ralf Antonia, die vor den beiden Männern zurückwich, die Paula schon angemacht hatten. Ralf entschuldigte sich, ließ Paula stehen und ruderte sich durch die vielen Leute, um ihr zu helfen. Also setzte Paula ihren Rundgang fort, bis sie Chris traf, die sie fragte, ob sie ein bisschen frische Luft schnappen wolle. Paula kam das sehr recht.
Chris zog sie zum Ausgang und ging mit ihr die paar Schritte zu der Wiese am Alten Museum. Sie setzte sich auf einen Stein vor der großen Brunnenschale aus Granit und klopfte einladend mit der Hand neben sich. Es war noch angenehm warm, und die Abendsonne tauchte alles in orangefarbenes Licht.
Chris spürte, wie mitgenommen Paula war.
Die Sonne verschwand, und die Scheinwerfer vom Berliner Dom gingen an.
Plötzlich hatte Paula das Gefühl, dass sie beobachtet wurden. War dort an den Säulen nicht jemand gewesen, der sie fotografiert hatte?
»Unsinn«, sagte Chris, nachdem sie angestrengt herumgeschaut hatte. Paula stand auf und wollte unbedingt nach Hause.
Chris überredete sie aber, noch mit ins Felix zu kommen, wo nun die Party steigen sollte.
48
Im Felix traf Paula Ralf wieder, wenn sie in dem Geschiebe auch gleich wieder getrennt wurden. Man musste sich schon aneinander festhalten, um sich nicht zu verlieren. Chris war ihr auch verloren gegangen. Paula wurde in Richtung Bar gedrängt, wo
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