Im Herzen Rein
berichtete, dass Johanna Frenzi im Lindencafé als Kellnerin gearbeitet hatte. Sie war am 13. April 1976 in Stuttgart geboren worden, hatte keine Eltern mehr und wohnte seit drei Monaten in Berlin. Sie war ledig, und es gab keinen Hinweis auf einen festen Freund oder jemanden, mit dem sie am Tag ihres Todes verabredet gewesen sein könnte.
»Wie beim ersten Opfer«, sagte Ulla.
»Ja, aber ihre Wohnungen waren sehr unterschiedlich«, sagte Max. »Silvia Arndts Wohnung war tipptopp, die Kleider im Schrank sogar nach Farben sortiert. Alles pedantisch, wie beim Militär - Unterhemden auf Kante. Johanna Frenzis Wohnung dagegen war unaufgeräumt, genial chaotisch.«
»Dann müssen wir annehmen, dass sie vom Wesen her doch sehr unterschiedlich waren«, sagte Bach, »Wohnungen verraten eine Menge über den Charakter.«
»Ja«, bestätigte Max, »bei Silvia Arndt hat nichts auf Freunde hingedeutet, während ich bei Johanna Frenzi das Gegenteil vermute. Da gibt’s eine Menge Zettelchen und Fotos auszuwerten.«
Justus fügte hinzu: »Für irgendwelche Schlussfolgerungen müssen erst die Ergebnisse der Spurensicherung und der Obduktionsbericht abgewartet werden.«
»Von Alter und äußerer Erscheinung her sind sie aber ähnlich«, meinte Marius.
Bach betrachtete noch einmal die Fotos und stimmte zu.
Paula konnte nicht widerstehen, Bachs hoch gepriesene Nützlichkeit gleich einmal zu testen, denn immerhin gab es einen neuen Fall, über den er noch nichts gesagt hatte. Und dieses Mal hatte der Täter Spuren hinterlassen. »Herr Professor Bach, können Sie uns schon irgendetwas über den Täter sagen?«
Er antwortete nicht, stand auf und machte ein paar Schritte. Schritte ins Leere?, fragte sie sich boshaft, denn jede Art von Posen - Aufundabgehen, Umschweifigkeit und Wirkungspausen - waren ihr zuwider.
»Aussagen über den Täter.« Er wiederholte ihre Worte. Wollte er Zeit schinden?
Er blieb stehen, blickte alle am Tisch an. Sie warteten gespannt.
»Erkenntnisse über den Täter erhalten wir mittels der Tatanalyse. Hier unterscheide ich hinsichtlich des Verbrechensablaufs zwei Teile: Der erste Teil umfasst das Kidnappen des Opfers bis zur Tötung, der zweite Teil die Präparation der Leiche bis zu ihrem Absetzen auf der Parkbank an der Spree und im Kino. Was immer der Täter im ersten Teil mit den Opfern angestellt hat - bisher haben wir keine Spuren, die uns etwas darüber sagen.«
»Vielleicht ergibt sich bei der Obduktion von Johanna Frenzi etwas«, sagte Chris.
»Mag sein, aber im Moment wissen wir noch nichts darüber«, erwiderte er. »Über den zweiten Teil dagegen wissen wir viel. Der Mörder hat seine Opfer sorgfältig und zeitaufwendig präpariert und sie anschließend in besonderen Situationen der Öffentlichkeit präsentiert. Nun frage ich mich: Auf welche Weise kennzeichnet das den Täter? Was sagt das über ihn?« Er wartete ab, aber als sich niemand äußerte, fuhr er fort: »Kriterium Nummer eins: Zwanghaftigkeit. Ich beziehe mich jetzt nur auf den zweiten Teil der Tat: War sein Verhalten hier zwanghaft? Zwanghaftes Verhalten nennen wir die Handschrift des Täters. Oder war es von ihm - ich möchte es mal salopp sagen - clever, die Leichen so zu präsentieren? Das bezeichnen wir dann als modus operandi , was bedeutet, der Täter hätte diesen Teil auch anders gestalten können.«
»Er hat die Präsentation ja bereits variiert«, warf Chris ein. »Das zweite Opfer hat er nicht auf eine Parkbank gesetzt, sondern ins Kino.«
Paula bemerkte, dass Bach der Freundin offenbar Sicherheit gab, was sie ihr gönnte.
»Sehr richtig«, sagte er. »Die Ausführung ist insgesamt bewusst kalkuliert und damit variabel. Die Zwanghaftigkeit - man kann auch sagen: Sucht - würde sich bei einem gewöhnlichen Serienkiller auf die Frau beziehen, nicht auf die Öffentlichkeit. Er würde die Leiche nicht unter Komplikationen durch die Stadt befördern, nur um sie der Öffentlichkeit auf einer besonderen Bühne zu präsentieren. Sie wissen von Professor Posch, wie vorsichtig man beim Transport in der Totenstarre sein muss, damit sich die Haltung durch Erschütterungen nicht verändert. Jemand, der in psychisch kranker Weise auf Frauen fixiert ist, würde das Opfer nicht auf eine öffentliche Parkbank setzen, sondern zu Hause in den Fernsehsessel. Er würde mit ihr reden, sie beschimpfen, tadeln oder loben. Er würde sie in diesem natürlichen Zustand haben wollen, damit sie ihm lebendig erscheint. Damit seiner Illusion
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