Im Herzen Rein
nichts entgegensteht, sie säße da schön, jung und lebendig vor ihm im Sessel.«
»Warum lässt er sie dann nicht am Leben und fesselt sie nur?«, fragte Tommi.
»Weil er Angst vor ihr hat. Darum muss er sie töten. Entweder lässt er sie am Tatort zurück, oder er behält sie in einer bestimmten Nähe zu sich. Wenn er sie verscharrt, wählt er einen Ort, der eine Bedeutung für ihn besitzt, der ihm nahe ist, zum Beispiel der Garten hinter seinem Haus, wo er sie auch aufsuchen und vielleicht noch mit ihr sprechen oder schimpfen kann. Er will mit den toten Opfern weiterhin etwas zu tun haben. Ich kenne keine Ausnahme.« Er machte eine Pause.
Mit einem schnellen Blick in die Runde sah Paula, dass ihm alle konzentriert folgten. Die Sicherheit, mit der Bach seine Sätze formulierte, ließ ihn kompetent wirken, aber Paula reichte das nicht; sie brauchte Fakten, die sie überprüfen konnte. »Sie wollen sagen, dass unser Täter von solchen Zwanghaftigkeiten nicht eingeschränkt ist. Richtig? Die Art, wie er uns seine Leichen anbietet, wird nicht bestimmt durch einen krankhaften Zwang, so meinen Sie, sondern durch einen rationalen Zweck. Eine gezielte Aktion mit einem vernunftgesteuerten, uns einleuchtenden Ziel. Meinen Sie das?«
»Ganz recht«, bestätigte er. »Dann frage ich Sie, welchen Zweck soll so eine Inszenierung haben?«
»Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu fesseln«, sagte Tommi, der Bach bereits bewunderte, wie ihr nicht entgangen war.
»Davon müssen wir ausgehen, ganz klar«, bestätigte Bach.
»Aber was nutzt ihm die Aufmerksamkeit? Wenn wir ihn schnappen, schadet sie ihm«, wandte Waldi ein, und Paula gab ihm recht.
»Das ist die entscheidende Frage«, sagte Bach. »Was hat der Täter von einer solchen Show?«
Wenn Bach hierauf keine konkrete Antwort parat hätte, würde er bei ihr verloren haben. Denn seine beiden richtigen Prognosen - ein weiterer Mord und das blaue Kleid - konnten auch kesse Behauptungen gewesen sein und zufällig gestimmt haben. Vielleicht hatte er bewusst geblufft.
Alle suchten nach einer Antwort auf Bachs Frage. Aber außer öffentlicher Provokation fiel ihnen nichts ein. Weltweit hatten Fernsehstationen die Bilder gezeigt, und Interviewanfragen liefen ständig bei der Presseabteilung vom LKA ein. Marius hatte vorhin grinsend bemerkt, dass Paula in kürzester Zeit die berühmteste Polizistin werden könnte, wenn sie auf all die Interviewwünsche einginge.
»Er will schockieren«, sagte Justus.
»Das ist auch meine Meinung«, sagte Bach. »Nur, für welchen Zweck braucht er so viel Aufmerksamkeit?« Er hatte sich inzwischen wieder gesetzt. »Haben Sie jemals eine Leiche gehabt, die mit solcher Sorgfalt hergerichtet und eingekleidet war?«
Sie verneinten.
»Das dachte ich mir. Daher habe ich Ihnen einen Fotoband mitgebracht.« Bach entnahm seiner Aktentasche ein großformatiges Buch, stand auf und legte es aufgeklappt und für alle sichtbar in die Mitte. »Was sehen Sie auf diesem Foto?«, fragte er Max.
»Eine dicke Frau mit Lockenwicklern unter dem Kopftuch, rosa Pulli, dunkelblauem Minirock, die Hände am Griff des überladenen Einkaufswagens vom Supermarkt.«
Bach wählte eine andere Abbildung und bat Tommi, das Foto zu beschreiben.
»Ein Mann und eine Frau sitzen auf einer Bank. Der Typ mit Glatze trägt eine Sonnenbrille, außerdem einen geringelten Pullover mit blauen Shorts, weiße Turnschuhe und Socken. Die Frau rechts neben ihm ein kurzärmeliges Hawaiihemd, schwarze Slipper und lila Bermudas. Sie hat’n paar Kilo mehr drauf als Ulla.« Er grinste Ulla an, kniff dabei ein Auge zu und fuhr fort: »Über dem rechten Unterarm hängt der Schultergurt von ihrer Handtasche, die rechts neben ihr auf der Bank steht.«
»Fällt den anderen an den beiden noch etwas auf?«
»Sie sehen groggy aus«, sagte Waldi.
Bach legte ein Foto des ersten Opfers daneben. »Was unterscheidet das Paar von Silvia Arndt hier auf der Parkbank?«
Max beugte sich über den Tisch. »Sie füttert Tauben und die anderen ruhen sich aus.«
»Silvia Arndt ist tot, und die anderen beiden leben«, ergänzte Justus.
Bach fragte Marius: »Was meinen Sie dazu?«
»Wenn wir nicht wüssten, dass Silvia Arndt tot ist, würden wir keinen Unterschied zu den lebenden Menschen erkennen.«
»Genau«, sagte Max, »unsere Tote sieht im Vergleich zu dem erschöpften Paar sogar lebensfroh aus.«
»Ganz recht«, bestätigte Bach. »Und nun kommt die Überraschung -«
»Das Paar ist auch tot«,
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