Im Herzen Rein
Schlimmeres gab es jetzt nicht mehr. Was konnte schlimmer sein, als auf bestialische Weise ermordet zu werden? Aber sie würde der Angst ins Gesicht blicken. Wenn jemand Katz und Maus mit ihr spielte, dann sollte nicht er über sie lachen, sondern sie über ihn! Später vor Gericht nämlich. Sie sah sich schon in der Robe zweimal lebenslänglich beantragen für diese brutalen Morde.
Auf dieses Ziel würde sie jetzt zugehen. Punktum.
Sie schreckte auf, als das Telefon klingelte, sprang aus der Wanne und wäre mit ihren nassen Füßen fast ausgerutscht. Sie hörte Paulas Stimme:
»Bist du schon wach? Ich habe mir die Sache mit Bach noch einmal durch den Kopf gehen lassen.«
»Und?«
»Wenn du dich damit besser fühlst, schick mir Bach ins Team. Ich bin bereit, mit ihm zu arbeiten. Der Auftrag muss aber von euch ausgehen. Ich krieg das in meiner Abteilung nicht durch.«
Chris war erleichtert. Endlich begriff Paula etwas und sah ein, dass man für diesen Fall einen Spezialisten brauchte. Chris hatte nicht die Absicht, Hubertus Bach in ihr ganz persönliches Problem einzuweihen, aber die Ermittlungen würden jetzt auch so in die richtige Richtung gehen.
Sie spürte wieder Energie aufsteigen. Sie sagte Paula, dass sie Freitag bereits mit ihrem Abteilungsleiter gesprochen und ein Okay bekommen hatte und dass Bach bereit sei und nur auf ein Startzeichen warte.
Paula schlug vor, dass Chris ihn nachher selbst in der Sitzung vorstellen sollte.
Wahrscheinlich wollte sie das, weil sie immer noch nicht von ihm überzeugt war.
Chris zog den Bademantel über, faxte Paula die wichtigsten Daten von Bachs beruflichem Werdegang und kochte sich einen starken Kaffee, um fit zu sein für den Auftritt mit Hubertus Bach vor den konservativen Ermittlern.
22
Paula hörte das Surren des Faxgeräts, ging in den Flur und nahm die eingegangene Seite, wobei sie einen Blick in die Küche warf - Ralf machte Spiegeleier. Sie überflog das Fax, wählte Justus’ Nummer und ging für das Telefonat ins Schlafzimmer, damit Ralf sie nicht hören konnte. »Vor dem Frühstück wird nicht gearbeitet!«, protestierte er immer.
Sie wollte ihn nicht ärgern, denn vorhin hatte er sie liebevoll geweckt. Sie hatte seine Hand auf ihrem Haar gespürt, dann ein Streicheln an der Wange. Er hatte ihr eine Tasse Tee gebracht. Den Wecker um sieben hatte sie verschlafen, aber zum Glück war er aufgewacht.
»Das Frühstück ist gleich fertig«, verkündete er im Sonntagston und verschwand in die Küche.
Sie setzte sich auf, schlürfte vorsichtig den heißen Tee und überlegte noch, ob sie eine Zusammenarbeit mit Bach wirklich akzeptieren konnte. Was ihr und ihren Kollegen gegen den Strich ging, war das oftmals unkonkrete und für sie schwer nachvollziehbare Gerede von Profilern, das ihnen mitunter wie Wahrsagungen vorkam. Genau so hatte sie Bach am Samstag in Chris’ Büro wahrgenommen. Allerdings hatte sich seine »Hellseherei« nun bewahrheitet: Das blaue Kleid gehörte zur Inszenierung, ein weiterer Mord war geschehen. Wenn dies kein Zufall war - und es war offensichtlich keiner -, dann war der Mann ein Könner, wie Paula nun anerkennen musste.
Jetzt hatte sie Justus am Apparat. »Guten Morgen, Herbert. Auf Wunsch von Frau Gregor habe ich Professor Bach am Samstag in ihrem Büro getroffen. Er war Professor für forensische Psychiatrie an der FU, hat dann beim FBI ein zweijähriges Training zum Secret Agent mit leitender Funktion absolviert und hat auch an Kursen in der Spezialeinheit für Serienverbrechen an der National Academy teilgenommen.« Sie schaute auf das Fax. »Ein Praktikum beim Morddezernat des NYPD zum Erstellen von Täterprofilen hat er auch gemacht. Außerdem hat er an spektakulären Fällen als Profiler gearbeitet. Er ist der beste Mann auf diesem Gebiet.«
»Ich weiß«, sagte Justus. »Ich habe ihn neulich im Fernsehen gesehen. Er hat sich zu den Morden in Brüssel geäußert.«
»Gut. Ich wollte nur sagen, dass er von heute an mit uns zusammenarbeitet. Das geht von der Staatsanwaltschaft aus. Frau Gregor wird ihn nachher zu unserer Besprechung mitbringen und vorstellen. Wäre nett, wenn alle vorbereitet sind und auch das Büro tipptopp ist und so weiter.«
»In Ordnung«, sagte er.
Sie konnte nicht einschätzen, ob er wirklich überzeugt war. Er hatte aus alten DDR-Zeiten immer noch Ressentiments gegen die USA und vieles, was von dort kam. Manchmal verhielt er sich auch ganz anders. Sie hatte ihn eigentlich bitten wollen, die
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