Im Herzen Rein
Haar heute besonders streng nach hinten gekämmt hatte. Bevor sie seinen Namen nennen konnte, sagte er selbst »Herbert Justus«, fügte »stellvertretender Kommissionsleiter« hinzu und schlug sogar leicht die Hacken zusammen. Sie wollte es kaum glauben - interessant, diese Ablagerungen von Tradition.
Bach nickte.
Als Paula Ulla vorstellen wollte, kam er ihr zuvor: »Guten Tag, Frau Messmer.«
Er hatte gepunktet, Ulla strahlte. Ein Taktiker, dachte Paula, er hat sich vorher erkundigt, weil er weiß, dass es gut ist, die Frauen einer Gruppe auf seiner Seite zu haben.
Chris war Bach gefolgt, hatte auch jeden mit Handschlag begrüßt und bot ihm nun den Platz an der Stirnseite an.
Als alle saßen, sagte sie: »Oberstaatsanwalt Rauball hat mir zugestimmt, bei diesem Fall einen Experten hinzuzuziehen: Professor Bach als Profiler. Er hat sich schon in einem Gespräch mit Frau Zeisberg und mir dadurch ausgezeichnet, dass er einen weiteren Mord voraussagte und zudem erkannte, dass das blaue Kleid von Silvia Arndt auf der Bank Teil der Präsentation war - und nicht ihr eigenes. Ungewöhnliche Prognosen, aber gestern wurden sie durch den neuen Mordfall bestätigt.«
»Wie sind Sie darauf gekommen, dass das blaue Kleid zur Inszenierung gehört?«, fragte Justus gleich nach.
»Die Frage drängte sich mir über die äußerst sorgfältige Präsentation auf. Der Killer schien nichts dem Zufall überlassen zu haben. Warum sollte er dann die Kleidung benutzen, die sein Opfer zufällig anhatte?«
»Und warum«, wollte Justus weiter wissen, »haben Sie angenommen, dass der Täter weitermorden würde?«
»Dieser Mann hat nicht im Affekt eine Nachbarin erschlagen, sondern er hat eine Welt herausgefordert. Wenn in der Durchführung eines Verbrechens - der Präparierung der Leiche und ihrer risikoreichen öffentlichen Ausstellung - so viel Energie steckt, dann drängt sich mir der Verdacht auf, dass er seine Geschicklichkeit und Erfahrung nutzen wird, um die Öffentlichkeit weiterzuschocken.«
Das Team war beeindruckt. Chris setzte hinzu: »Stellen Sie sich vor, wir hätten Professor Bach früher konsultiert, dann hätten Sie direkt nach dem ersten Mord mit der Suche nach dem Kleid begonnen und den Täter über seinen Kleiderkauf aufgespürt. Johanna Frenzi wäre womöglich noch am Leben.«
Paula ärgerte sich über den Vorwurf. Was wollte Chris damit erreichen? Wenn und hätte nutzten jetzt nichts - sie mussten nach vorn arbeiten und den richtigen Ermittlungsansatz finden. In welche Richtung sollten sie marschieren? Es gab im Team eine Tendenz, in die Breite zu gehen, jeden einzelnen Spaziergänger zu befragen, jeden Kinobesucher, intensive Zeugenbefragungen in den Wohnhäusern der beiden Opfer durchzuführen, ganze Rechercheteppiche über dem Ku’damm um das Kino herum auszubreiten, mit einer großen Tür-zu-Tür-Aktion die riesige Beamtenschlange zu durchkämmen und aufwendig mit der Bevölkerung zusammenzuarbeiten und sie über jede neue Wendung zu informieren.
Es gab aber auch die andere Strategie: die gefundenen Spuren und Hinweise präzise auszuwerten und sich in die Richtung weiterzubewegen, in die sie deuteten. Das erforderte mehr Expertenkunde, schärfere Intelligenz und ein genaues Arbeiten in eng definierten Feldern. Paula zog diese Arbeitsweise vor, mit ihr hatte sie ihre größten Erfolge gehabt, und der Einsatz Bachs ging in diese Richtung. Was da nützen würde, wäre eine Täterbeschreibung, und die erwartete das Team nun von ihm. Dazu gehörten Angaben zu Beruf, Alter, sozialem Status, verheiratet oder ledig, wo er wohnen könnte, seine Gewohnheiten, vielleicht auch, ob er geistig gestört war oder hochintelligent, welche Bildung er hatte und so weiter. Man wusste ja schon von der Obduktion Silvia Arndts her, dass er medizinische Kenntnisse besaß, und sie wartete gespannt darauf, ob auch Bach ihn als Mediziner beschreiben würde.
Paula überging Chris’ Vorwurf, Bach nicht früher gerufen zu haben, hinter dem sie die Angst spürte, alles könnte falsch laufen. Zu viel Angst beschwor oft gerade das herauf, wovor man sich fürchtete.
Bach sagte, er werde sicher etwas Zeit brauchen, um die Akten gründlich durchzusehen, aber er höre sich gerne die aktuellen Ermittlungsergebnisse an.
Paula gab Anweisung, als Erstes zu ermitteln, woher die Kleider stammten. »Marius, kannst du das übernehmen?« Er nickte und machte sich eine Notiz. »Fang bei den großen Kaufhäusern an. Auch ausgelaufene Modelle.«
Max
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