Im Herzen Rein
Opfers, das den Atem des Jägers im Nacken spürt.
Ihr war klar, dass es besser war, wenn sie sich nicht in Gefühle und Grübeleien verstieg, was ihr immer wieder passierte, sondern den klaren Gedanken Bachs folgte: ein Künstler als Täter, von krankhaftem Ehrgeiz getrieben, achtlos seinen tatsächlichen Erfolgen gegenüber, ankämpfend gegen ein pathologisches Unwertgefühl. Sie war jetzt die heimliche Jägerin, nicht mehr die Gejagte.
Sie hupte den Taxifahrer auf seine Sonderspur zurück und beschleunigte. In ihrem Mini fühlte sie sich wohl. Selbst auf so einer kurzen Strecke gab er ihr Kraft. Sie hatte ihn mit Bedacht gewählt. Er war klein und wendig im Stadtverkehr, schnell und spritzig wie ein Sportwagen, und sie fand immer einen Parkplatz. Das richtige Auto für kleine Fluchten. Auch wenn sie diese Möglichkeit, einfach mal schnell für einen oder zwei Tage abzuhauen, gar nicht ausschöpfte. Aber sie könnte es jederzeit tun! Auch mitten in der Nacht. Sie war unabhängig von Bahn- oder Flugzeiten. Dieses Gefühl von Freiheit brauchte sie.
Direkt gegenüber der Deutschen Guggenheim fand sie einen Parkplatz, schloss ab und wartete, bis der Verkehr stockte und sie die Straße überqueren konnte. Sie fühlte sich von den Autofahrern beobachtet und bewegte sich wie auf einem Laufsteg. Etwas Spaß musste sein.
Sie schaute zur Uhr und zweifelte nicht, dass er schon da war. Aber draußen stand er nicht, und am Einlass sah sie ihn auch nicht.
Sie wartete noch fünf Minuten, dann kaufte sie eine Karte. Er würde sie finden, die Kunsthalle war nicht unübersehbar groß.
So entschieden sie war, diesem Kerl nicht auszuweichen, so erleichtert war sie doch darüber, dass er nicht da war und ihr die Begegnung vielleicht erspart bliebe.
Ein Museumsangestellter machte sie darauf aufmerksam, dass sie ihre Handtasche ins Schließfach legen müsse. Erst dann durfte sie den Ausstellungsraum mit der großen Wolfsinstallation betreten.
Langsam ging sie an den vielen Wölfen entlang. Obwohl sie wie eingefroren waren in der Bewegung, schien das Rudel durch die fünfzig Meter lange Halle zu jagen. Die rennenden Bestien fletschten die Zähne und stierten, als wollten sie eine Beute zerfleischen. Die Tiere, die im Sprung waren, hingen in unterschiedlicher Höhe an durchsichtigen Fäden, als rasten sie einen unsichtbaren Berg hinauf. Als wollten sie die dicke Glaswand am Ende des Saals überspringen. Sie schafften es aber nicht, krachten oben gegen das Hindernis und stürzten mit schmerzhaft verkrümmten Leibern zu Boden. Ihr kam die unsinnige Idee, dass es ihr auch so ergehen könnte, wenn ihre Angst, von diesem Wahnsinnigen umgebracht zu werden, wie eine Glaswand funktionieren würde, gegen die sie anrannte. Ich erwische ihn nicht und er mich nicht, aber der Aufprall gegen diese Angstwand lässt mich abstürzen. Sie steigerte sich so hinein, dass sie meinte, die Tiere brüllen zu hören.
»Wie viele Wölfe sind das?«, fragte sie den Wärter.
»Neunundneunzig.«
»Sind die echt?«
»Nein.«
»Sie sehen aber so aus.«
»Ja, sie sehen aus wie echte Wölfe, aber ihre Felle sind präparierte Schafspelze.«
Als er weg war, streichelte sie eines der Tiere gegen den Strich - es war kaum zu glauben, dass es Schafspelz war.
Langsam ging sie zurück zum Eingang. Heiliger war nirgends zu sehen. Vierzig Minuten waren verstrichen, und ihre Mittagspause ging zu Ende. Sie holte ihre Tasche aus dem Schließfach, kaufte einen Katalog und blickte noch einmal zurück auf die Wolfsinstallation. Ihre Spannung hatte nachgelassen. Jetzt war sie enttäuscht, dass er nicht gekommen war. Aber nur, weil sie etwas von ihm für den DNA-Vergleich brauchte. Einen anderen Grund gab es nicht. Auch wenn Paula behaupten würde: »Wenn er dich nicht als Mann interessierte, hättest du ihn nicht als Täter aufgebaut.« Aber das war unsinnig.
Ihr gegenüber würde sie diese Verabredung am besten gar nicht erwähnen. Wozu auch? Er hatte ihr die Nachricht hinterlassen, war aber nicht gekommen. Er hatte sie sitzen lassen.
25
Als Paula die Wohnungstür aufschloss, hörte sie Ralf in der Küche werkeln. Sie warf ihre Tasche Richtung Kleiderständer, woraufhin Kasimir einen Satz machte. Sie lockte ihn wieder an und streichelte ihn. Schnurrend drängte er sich gegen ihre Beine.
»Kann ich helfen?«, fragte sie, als sie die Küche betrat.
»Ja. Setz dich hin und unterhalte mich.« Ralf goss ihr ein Glas Wein ein. »Ich mache zur Abwechslung mal grüne
Weitere Kostenlose Bücher