Im Herzen Rein
vor ihm?«
Katharina zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Sie war kein ängstlicher Typ.«
Paula hatte sich alle Mühe gegeben, etwas über diesen gewalttätigen Liebhaber herauszufinden, aber er war offenbar nie ins Lokal gekommen; Johanna hatte sich immer außerhalb ihrer Arbeitszeiten mit ihm getroffen. Da Paula nicht nachließ, fiel Katharina noch ein, dass Johanna es hasste, wenn sich ihre Lover ins Café setzten, um sich bedienen zu lassen, vielleicht auch noch meckerten, dass sie zu nett zu anderen war. Einen hatte es gegeben, der täglich gekommen war, was Johanna besonders nervte. Ein Mittvierziger, breitschultrig, mit einem Leberfleck unter dem linken Auge, den sie als Träne beschrieb. Paula hatte Marius beauftragt, das Personal nach diesem Typen zu fragen, um seinen Namen herauszufinden.
Entscheidend war für Paula gewesen, was Katharina über Johannas freie Tage gesagt hatte. »Hatte sie sowieso frei, oder hat sie extra Urlaub genommen?«
»Jeder von uns hat alle vier Wochen drei Tage frei. Das ist normal.«
»Hat sie gesagt, was sie in dieser Zeit tun wollte?«
»Nein.«
»War es üblich, dass sie an freien Tagen abends mal hereinschaute?«
»Nein. Wir sind alle froh, wenn wir in der Freizeit mit dem Laden nichts zu tun haben.«
»Oder war es üblich, dass sie Sie in diesen Tagen mal anrief oder etwas mit Ihnen unternahm, Kino oder so?«
»Kino kam nicht infrage, weil ich an ihren freien Tagen meistens arbeiten musste, aber normalerweise hat sie angerufen und erzählt, was sie gerade macht oder vorhat oder mit wem sie den Abend verbringen will.«
»Gab es solche Anrufe zwischen Donnerstag und Sonntag letzter Woche?«
»Nein.«
»Ist Ihnen das aufgefallen?«
»Ja, ich dachte, vielleicht ist sie krank. Einige von uns hatten Grippe in den letzten Wochen.«
»Haben Sie versucht, sie zu erreichen?«
»Ja, ich habe es viermal versucht. Das letzte Mal Sonntag.«
»Um wie viel Uhr?«
»So um zwei Uhr mittags rum. Aber sie ist nicht rangegangen. Sie hatte auch keine Mailbox an, weil sie diesen Typen, der ein paar Tage lang hier rumsaß, überhaupt nicht in ihrem System haben wollte. Er hat sie echt genervt.«
»Ist das der, der gewalttätig war?«
»Nein, der nicht. Der mit dem Leberfleck.«
Vielleicht hatte der Täter Johanna Frenzi schon Donnerstagnacht oder am Freitag gekidnappt. Der Todeszeitpunkt lag in den frühen Morgenstunden des Sonntags. Er hatte sie vielleicht von Donnerstag oder Freitag bis Sonntag früh in einem Versteck oder Gefängnis eingesperrt.
Beim Autofahren hatte Paula Zeit, sich zu überlegen, was für ein Typ Johanna gewesen war. Sie selbst würde niemals so weit gehen, wie es für Johanna offenbar unerlässlich war: den schnellen Flirt, die Herausforderungen, die Verführung, denn Paulas Leben war mit dem Job und den Menschen, die ihr nahestanden, vollständig ausgefüllt. Durch Ralf war Sexualität ein Teil dieses Lebens, aber sie war nicht von einem solchen Teil abhängig; von keinem einzelnen Menschen, von keinem Thema, keiner Sache. Diese Unabhängigkeit machte sie ausgeglichen und stark. Immer wieder hatte sie erlebt, wie schwach Menschen wurden, wenn sie sich abhängig machten - von Drogen, Alkohol, Sex, einem Menschen, einem Ort oder dem Job. Damit war Unglück verbunden, so war ihre Erfahrung. Wovon war Johanna Frenzi abhängig gewesen? Von neuen Reizen, von Selbstbestätigung? Von Sex? Oder hatte sie Sex nur als Gegenleistung für Anerkennung gekannt?
Sie fuhr die Reinhardtstraße entlang und überquerte die Brücke über die Spree Richtung Bundeskanzleramt. Rechts am Bundespressestrand, einem Café mit angekarrtem Sand, saßen einige Leute in Liegestühlen und hielten ihre Gesichter der Sonne entgegen.
Paula rief Ulla im Büro an, ob Tommi aus der Frenzi-Wohnung zurück sei. Nein, war er nicht, es gab auch noch keinen abschließenden Bericht über die Spurensuche in der Wohnung. Ulla sagte, sie habe ihn aber gerade anrufen wollen, weil das Büro von Professor Posch wissen wollte, wer zur Obduktion komme.
»Wann haben die angerufen?«
»Etwa vor einer Stunde.«
»Du brauchst Tommi nicht anzurufen, ich fahr da gleich hin.«
»Außerdem hat wieder dieser Jonas Schumann angerufen. Ich hab ihm gesagt, dass du keine Zeit hast.«
»Danke. Ich bin dann bei der Obduktion.«
Paula fuhr im Kreisverkehr ganz um die Siegessäule herum, wieder in die Richtung, aus der sie gerade gekommen war, und dann in die Invalidenstraße zur Charité.
Jonas Schumann. Er ließ
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