Im Herzen Rein
er sie noch auf. »War das jetzt Zufall? Oder könnte eine Verbindung zu den Morden bestehen?«
»Ich lasse die Puppe untersuchen. So ist das schwer zu sagen. Aber ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich verständigt haben.« Sie verabschiedete sich, nachdem sie den Empfang quittiert hatte.
Beim Hinausgehen blieb sie stehen und betrachtete das Rudel Wölfe, das vor ihr davonzurennen schien. Jeder einzelne Wolf war in einem anderen Bewegungsmoment erstarrt. Dasselbe Prinzip wie bei den Tauben, dachte sie.
»Sind das ausgestopfte Wölfe?«
Der Angestellte winkte ab. »Nein, alles Attrappen, von einem Filmarchitekten für den Künstler gebaut. Sie wirken aber echt, nicht wahr?«
Sie nickte. So echt wie die Tauben.
Sie betrachtete noch einen Moment die Wölfe und dachte an die Begegnung, die ihr jetzt bevorstand.
Er wartete bereits auf der Straße, und sie erkannte ihn sofort an seinem schüchtern-frechen Lächeln. Seine Haare waren kurz, und er trug einen Seitenscheitel. Vielleicht waren die Geheimratsecken ein bisschen größer geworden, aber er war immer noch der jungenhafte Typ. Er hatte keinen Bauch, sondern war schlank und durchtrainiert. Langsam ging sie auf ihn zu.
»Jonas Schumann«, sagte sie einfach.
»Paula.« Nach einem Moment sagte er entschuldigend: »Im Büro habe ich dich nicht erreichen können. Da musste ich dich auf dem Handy anrufen.«
»Woher hast du die Nummer?«
»Ich bin immer noch tätig für Ärzte der Welt . Da habe ich gute Kontakte zu den Medien.«
»Aha«, sagte sie nicht sehr erfreut. »Ich habe einen schwierigen Fall und bin total im Stress.«
»Ja, ich habe dich im Fernsehen gesehen.« Er sah sie ruhig an. »Du hast dich nicht verändert seit Würzburg.«
»Danke.« Sie schüttelte ihren Kopf so, dass ihre Locken flogen. Sie lachten beide.
»Schenkst du mir trotz deiner Mörderjagd ein bisschen Zeit? Oder wirst du erwartet?«
»Nun bist du hier, nun nehmen wir einen Drink.«
Sie ließ ihr Auto stehen und ging mit ihm über den Gendarmenmarkt zur Newton Bar. Das Besondere hier, wo riesengroße Aktfotos von Helmut Newton hingen, war die Theke, die bei warmem Wetter ein Stück nach draußen gerollt wurde, sodass die Gäste bei ihren Cocktails einen Blick auf den Gendarmenmarkt hatten. Heute war einer der Abende, an denen das noch möglich war. Sie bestellten zwei Mojitos.
»Du hast dir viel Mühe gemacht, mich zu erreichen«, sagte sie.
»Ein Treffen mit dem KSC-Konzern ist abgesagt worden, deshalb habe ich unerwartet frei. Als ich in der Zeitung deinen Namen las, dachte ich, es wäre witzig, wenn wir uns wiedersehen.« Er lächelte.
»Zwanzig Jahre sind seit unserer Kindheit vergangen.«
Die Drinks kamen, und sie prosteten sich zu.
Sie erinnerte sich an den Abend, als sie zusammen tanzen waren. Inzwischen war ihr eingefallen, dass sie sich den Kuss und das Schwindelgefühl eingebildet hatte und dass er sie in Wahrheit gar nicht geküsst hatte.
Jetzt saß er vor ihr und war ihr merkwürdig vertraut.
Sie nippten an ihren Drinks.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Gut. Ich bin viel unterwegs und muss in ein paar Tagen nach Islamabad.«
»Was sagt deine Frau dazu?«
»Ich bin nicht verheiratet. Ich glaube, das passt nicht zu diesem Leben. Und Kinder schon gar nicht. Hast du Kinder?«
»Nein.«
»Aber einen Mann.«
»Ich bin nicht verheiratet, lebe aber mit einem Mann zusammen.«
»Kriegst du das mit deinem Job auf die Reihe?«
»Es gibt Probleme, aber im Prinzip geht es ganz gut.«
Sie schmunzelte über seine Grübchen, die jetzt mehr Lachfalten geworden waren und die ihr so gefallen hatten. Sie hätte gerne gewusst, ob er sie damals gemocht hatte oder nicht. Als er sein Glas nahm, sah sie seine Uhr. Immer noch dieselbe Uhr; das war ihr schon in Würzburg aufgefallen, aber sie hatte nicht danach gefragt. »Die hast du doch damals schon gehabt, oder?«
Er streckte die Hand aus. »Sie ist von meinem Großvater. Du erkennst sie wieder?«
Das gefiel ihr - die Uhr vom Großvater, die er nicht gegen eine neue Uhr ausgetauscht hatte.
Er stellte sein Glas ab. »Ich habe heute einen Bericht über diesen Fall im Fernsehen gesehen.«
»Was haben sie gesagt?«
»Sie haben über die zweite Tote gesprochen. Das ist ja ein Hammer. Tot im Kino, und auch im blauen Kleid.«
Er sah sie an, und sie spürte, dass das Thema nur ein Vorwand für ihn war und er eigentlich an etwas anderes dachte. »Habt ihr schon eine Ahnung, wer es sein könnte?«
Der Alkohol hatte ihre
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