Im Informationszeitalter
zyklisch 40 ; die Reisen sind ineinander verschachtelt und durch Pausen in der Romangegenwart unterbrochen. Nach seinem letzten Auftrag bleibt Füßli in der Vergangenheit und schickt die Zeitmaschine leer zurück. Wohlhabend lebt er in der Verzögerung des Zeitkreises 27 Jahre der “Echtzeit”, bis er sich schließlich im Jahr seiner Abreise selbst begegnet. Diese Begegnung wird im “Königsprojekt” an zwei verschiedenen Stellen und aus zwei verschiedenen Perspektiven geschildert: am Anfang des Romans, als der noch idealistisch an das Projekt glaubende Füßli seinem gealterten alter ego begegnet und ihn/sich nicht erkennt und später, als der dem Trunk ergebene Füßli (jetzt unter dem Namen Fürst Araktschejew), der über die Zukunft des jüngeren Bescheid weiß, diesem an gleicher Stelle wiederbegegnet (vgl.: KP, S. 53 - 55). 83 Ein zweites, typisches SF-Motiv verwendet Amery hier für eine Nebenszene: die Duplizierung eines Individuums (vgl. 2.
4. Motiv). Die Duplizierung ist aber dem Motiv der Zeitreise untergeordnet und wird nicht mit einer eigenen Problematik verbunden. Das tautologische Element 84 wiederholt sich noch verschiedentlich: So wechselt der Gangster Tony Barello seinen Namen in Garetti, weil ihm gegenüber Füßli im Jahr 1927 seinen späteren Freund Fabio Garetti aus dem Jahr 1954 erwähnt hatte; tatsächlich ist der Sohn des Gangsters mit dem späteren Freund Füßlis identisch. In Momenten wie diesen überschlägt sich die Logik der Kausalzusammenhänge, denn Fabio Garetti existierte ja bereits vor der Zeitreise Füßlis im Jahre 1954. Durch die Zeitreise wird die Ursache für die Namensgebung Garettis aufgedeckt, die Existenz / Nichtexistenz der Person hängt aber nicht von der Zeitreise ab. Die Wirksamkeit der Zeitkorrektur wird in diesem Zusammenhang zweifelhaft, denn es scheint, daß der Hauptzeitstrom so tief in seiner Bahn verankert ist, daß auch die Existenz einer Zeitmaschine in ihn intergriert wird, nicht aber im Gegensatz zu ihm stehen kann.
Wie Lem spielt Amery in seinen Zeitreisen mit den Möglichkeiten von Wahrscheinlichkeit und Zufall: am
Anfang des Romans will sich Enigmatinger umbringen und springt von einer Anhöhe in das offene Cabrio des Zuhälters Garetti; am Ende des Romans bringt er sich tatsächlich an derselben Stelle um: Garetti, wieder beteiligt, hat seinen Wagen gegen einen geschlossenen Wagen getauscht, so daß der Fall Enigmatingers diesmal nicht durch die Sitzpolster gefedert wird.
Die Behandlng des Zufalls realisiert sich bei Amery durch die Vielzahl der “Kreise”, die geschlossen werden, als Erfüllung einer Vorsehung, eines Schicksals. An dieser Stelle zeigen sich besonders die unterschiedlichen Voraussetzungen, mit denen die Autoren Lem und Amery ihre Handlungen gestalten: Lem ist bestimmt durch seinen Glauben an ein probabilistisches, Amery an ein vorgezeichnetes Schicksal.
Die letzte im Roman erwähnte Zeitreise ist linear mit einem Zwischenstopp: der Vatikan schickt Füßli einen Mörder, Defunderoll, einen ehemaligen Kollegen Füßlis, nach, der sich im Energiefeld der Maschine selbst erschießt. Daraufhin verschwindet die Maschine mitsamt dem toten Mörder in grauer Vorzeit und wird zerstört. Hier endet der Roman.
Der Forderung von Gottwald (Gottwald 1990, S. 107), daß “die unkontrollierte Schaffung von Alternativwelten sorgsam vermieden” werden sollte, kommt Amery mit einer für den Roman geltenden Regel entgegen, die definiert, daß die Geschichte nicht im Widerspruch zur Quellenlage geändert werden kann. Letztlich ist es Aufgabe der Theoretischen Abteilung, die Quellenlage zu fälschen.
Hartmut Lück beschreibt, daß sich die nichtrealistische Verknüpfung eines Motivs (wie die MYST-Maschine) in eine “realistische” Erzählwelt unter dem Terminus “Fantastik als Methode” zusammenfassen läßt. Was aber danach geschieht, ist häufig umso realistischer im hier entwickelten Sinne von Realismus als “gewußte Gesellschaft.” (Lück 1977, S. 317) Die Bedeutung dieses etwas unscharfen Ausdrucks “gewußte Gesellschaft” gibt Amery mit klaren Worten wieder: “Wer weiß, wenn etwas anderes passiert wäre, das ist also die Substanz von fast allen meinen Romanen.” (Amery-Interview 1995, S. 4) Die in der Geschichte nicht genutzten Potentiale sind es, die ihn interessieren - im folgenden Kapitel geht es um die nicht genutzten Potentiale der Kirche.
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“Utopie und utopisches Denken sind historische Phänomene. Utopische
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