Im Informationszeitalter
der Kirche in der Welt trägt (vgl.: Amery 1967, S. 24). Echter Fortschritt kann seiner Ansicht nach nur von unten nach oben durchgeführt werden 4 , ausgehend von einem regionalen und nationalen Katholizismus; als Beispiel seiner Zeit nennt er die französischen Arbeiterpriester, deren Engagement vom Papst abgelehnt wurde 5 . Amery beklagt das Verschwinden des Sakralen aus der Gesellschaft, durch das eine Lücke entsteht, die nur durch unzulängliche Surrogate (beispielsweise durch Okkultismus, aber auch durch das Konsumverhalten) gefüllt wird. Einen wesentlichen Faktor für das Entstehen eines solchen Vakuums hat Amery im “ Königsprojekt ” in der Haltung der Kirche zur Welt versucht aufzudecken: “Nun, ich muß gestehen, es tut einem einfach leid, wenn so viele wunderbare alte Werkzeuge nicht mehr verwendet werden können, weil sie in diesen blödsinnigen Zusammenhängen stehen.” (Amery-Interview 1995, S. 10). Diese “Werkzeuge”, die ursprünglich zur Selbsterkenntnis und zur sinnvollen Lebensführung dienen sollten, konnten leider nur allzu leicht als Herrschaftsmittel mißbraucht werden: “Wenn Sie vergleichen wollen, wie statisch die griechischen Tempel geblieben sind, ist das Christentum, das uns zugestoßen ist, eine ungeheure Dynamik mit einem ungeheuren Perversionspotential …” (Amery-Interview 1995, S. 9). Das “Perversionspotential” hat den Vorteil, die Kirche flexibel auf die Veränderungen in der Welt reagieren lassen zu können, aber auch den Nachteil, daß die christliche Lehre und ihr Mißbrauch oft nur schwer voneinander zu unterscheiden sind.
3.3. Geschichte als “Geschichte der Sieger”
Wie bereits festgestellt wurde, haben historische Themen bei Amery einen besonderen Stellenwert. Aus dem Fundus der Geschichte hat er sich zwei “kritische Massen” (vgl. 3.) ausgesucht, die im “Königsprojekt” zum Verschmelzen gebracht wurden. Die erste “Masse”, die offensichtlich zentraler ist, wurde im vorigen Kapitel untersucht; der zweiten “Masse”, die “bayrische Gaudi” soll kein eigenes Kapitel gewidmet werden, da sie vorwiegend kontrasierende Funktion hat. Gegenstand dieses Kapitel soll bereits das “Verschmelzungsprodukt” sein, die besondere Geschichtsdarstellung Amerys. In “Das Ende der Vorsehung” untersucht Amery die Mechanismen von Wirkungs- und Erfolgsgeschichte; er wendet die eingangs nach Alexander Demandt eingeführten Prinzipien der Alternativgeschichte auf seine Interpretation der Kirchengeschichte an.
Die Wurzeln zur Problematik des KP reichen weit zurück: seit der konstantinischen Wende ändert sich die Situation der frühen Christen von Grund auf; zwar sind sie zu dieser Zeit schon nicht mehr der strengen
Verfolgung unterworfen, doch kommen sie nun in die Situation, sich selbst mit Macht auseinandersetzen zu müssen. Eine Konsequenz ist die Etablierung der Kirche als feste Institution; sie muß sich als Ganzes mit dem römischen Recht auseinandersetzen. Es bildet sich eine Hierarchie der Christen heraus, die Jesus seinen Anhängern immer verwehrt hat. Auf diese Weise öffnen sich für die Kirche zwei Fronten, eine äußere und eine innere. Das Christentum beginnt, eine weltliche Verantwortlichkeit mitzutragen: “Das uralte Problem der schmutzigen Hände’ ist hier zum erstenmal - und wohl in nie mehr schärferer Form -aufgetaucht.” (Amery 1985 a, S. 55). Die innere Front gestaltet sich durch die bei Amery beschriebene Auseinandersetzung von Orthodoxie und Ketzertum, die im KP ihren Ausdruck in dem Versuch findet, die anglikanische Kirche “zu verhindern”. Die Anglikanische Kirche wiederum entsteht mehr aus den Heiratsprojekten Heinrichs VIII. und aus politischen, weniger aus kirchlichen Gründen: innere und äußere Fronten bedingen sich also auch gegenseitig. In “Das Ende der Vorsehung ” verfolgt Amery die Dialektik von Orthodoxie und Ketzerei in ihrer historischen Entwicklung (vgl.: Amery 1985 a, S. 54 - 71). Seine Ergebnisse könnten so zusammengefaßt werden: das “Heilige Büro” der römisch-katholischen Kirche steht als Organisationsform im Widerspruch zur Lehre Christi, der eine Verfestigung in solchen Strukturen nicht gelehrt hat: “Trotz ihrer unabweichlichen
Tendenz zur Kontinuität brachte es die Kirche nicht fertig, sich der Botschaft der Verheißung zu entledigen.” (Amery 1985 a, S. 61). Aus diesem Paradoxon, daß die Kirche als Institution gerade durch ihr Fundament bedroht wird, erwächst ihre
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