Im Informationszeitalter
amerikanischen Rechercheur der Theoretischen Abteilung und Doensmaker, ihrem Leiter statt. Letzterer kann Enigmatinger beruhigen: die “Waffe” ist nicht in den Händen der Kommunisten, der Rechercheur war auf eine unvollständige Quelle gestoßen, die ihn zu den oben genannten Befürchtungen führte. Auffällig in dem Dialog sind vor allem die Begriffe “Waffe” und “Feind”: MYST wird als Instrument eines ideologischen Kreuzzuges verstanden, der sich in der Romangegenwart primär gegen die Ausbreitung des Kommunismus richtet, zuvor sich aber auch gegen andere Ziele wandte. Der evangelischen Kirche wurde in der Beseitigung Luthers (vgl.: KP, S. 98) die Grundlage zu entziehen versucht; der Abspaltung der Anglikanischen Kirche sollte durch die Stärkung des Jakobismus entgegengewirkt werden. In den Versuchen, die Kirche auf eine einheitliche Linie zu einen, spiegelt sich der oben genannte zweite Konfliktpunkt wieder: die Vorsehung wird so gedeutet, daß es nur eine einzige, katholische Kirche geben kann.
Amery unterscheidet eine progressive und eine reaktionäre Strömung innerhalb der katholischen Kirche; die letztere beschränkt sich auf ein mahnendes Warnen vor Geburtenkontrolle, Sittenverfall, Sozialismus und vielem mehr. Die reaktionäre Haltung ist (nicht zuletzt durch die weltliche Publizistik) prägend für das Bild der Kirche vor allem in der westlichen Welt. Die progressive Haltung dagegen ist durch ihre Zwiespältigkeit weit interessanter: wie weit geht die Kirche in der Anpassung an weltliche Verhältnisse? 2 “Si pensiamo in seculi” (ital.: “Wir denken hier in Jahrhunderten”) ist eine Redensart der kurialen Gruppe der Integralisten 3 . Mitglieder dieser Gruppe haben als Projektgruppe CSAPF im Roman den Auftrag “zur Reinigung der Quellen” angenommen; es bleibt allerdings die gesamte Handlung über bewußt unklar, wer diesen Auftrag überhaupt erteilt hat.
“Die Integralisten weisen darauf hin, daß schließlich nicht die Kirche der Welt, sondern die Welt der Kirche weggelaufen sei.” (Amery 1967, S. 25). Scherzhaft unterscheidet Amery die Rückschrittlichen und die Fortschrittlichen in der Kirche so: die Fortschrittlichen sind “für die Pille und gegen die Bombe” und die Rückschrittlichen sind “gegen die Pille und für die Bombe.” (Amery 1967, S. 19). Zu letzteren zählt er auch die Integralisten, die die totale Zerstörung einer Auflehnung gegen die Kirche vorziehen (Amery 1967,
S. 21/22). Die Kritik am Integralismus macht Amery besonders an dem inneren Widerspruch fest, daß es eine bis zum “Jüngsten Tag” fixierbare Version des Katholizismus gebe; dabei ist der Integralismus selbst ein “Spätprodukt”, das Ergebnis von Reformation und Gegenreformation.
Bezeichnend ist ebenfalls, daß in dieser Zeit, der beginnenden Neuzeit, auch eine Missionierungsbewegung begann und nicht schon nach früheren Kirchenkonflikten. Somit kann der Einsatz der MYST auch als “Mission zurück in der Zeit” gesehen werden. Der Integralismus selbst war eine Waffe gegen die Reformation, die das Erbe des mittelalterlichen Papsttums anzutreten versuchte.
Zur Zeit des Romans ist Papst Pius XII. (von 1939 bis 1958) im Amt; er galt als “politischer” (er unterstützte offen die Frankisten!), aber auch als “moderner” Papst, da er sich technischen und organisatorischen Fragen widmete und die “Betriebsführung” erneuerte. Seine Art der Reaktion war fortschrittlich im oben genannten widersprüchlichen Sinne: “Wir haben neuen Dingen keinerlei Befürchtungen entgegenzuhalten, insofern es sich ausschließlich um die praktische Seite des Lebens handelt.” (Amery 1967, S. 26). Seine Fortschrittlichkeit bezog sich auf die Mittel, nicht aber auf die Lehre. Sein Nachfolger, Papst Johannes XXIII. dagegen war auch auf einer tiefer reichenden Ebene nicht der Dynamik der modernen Welt verschlossen und forderte Offenheit und eine Unterscheidung der Geister im Sinne einer toleranten Grundhaltung. So widmete er sich auch den Theorien des Marxismus als Protestform gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung; das System an sich lehnte er ebenso ab, wie seine Vorgänger.
“Aggiornamento” definiert Amery weder als Anpassung noch als Modernisierung; er fordert mit ihm die Erweiterung des mittelalterlichen Begriffs der Christenheit auf eine “Weltchristenheit”.
Amery sieht diesbezüglich vor allem im römischen Zentralismus eine Gefahr, der einen großen Teil der Schuld an der Unflexibilität
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