Im Informationszeitalter
Krypta” läßt Amery eine besondere Wissenschaft durch seinen Protagonisten
erfinden: die Sphagistik, eine Systematik der
Niederlage:
“Der Held entwirft sozusagen diese Form der Geschichte und stellt diese These auf, daß die verworfenen Potentiale eine Dimension mehr sind, als der Strich, auf dem der Erfolg geht. Also, der Erfolg geht über den Tisch und rechts und links über die breiten Dimensionen fallen die Potentiale.” (Amery-Interview 1995, S. 3,4)
Auch wenn ihnen kein Erfolg beschieden ist, machen die jakobitischen Revolutionäre auf ein verloren geglaubtes Potential der Geschichte aufmerksam - in aller Öffentlichkeit und mit den einfachsten Mitteln.
Am Ende lösen sich die beiden kritischen Massen gegenseitig auf: das geheime vatikanische Komplott verschwindet samt seiner Maschine im Nichts und geht nicht einmal in die Geschichte ein. Die erfolglosen Revolutionäre dagegen haben zumindest den Kreis der keltischen Sagen erweitert - nicht umsonst wurden sie in eine Linie mit der Artus-Sage gesetzt, ohne die es nach Amery keine Romantik gibt (Amery-Interview 1995, S. 4) - und damit haben sie zur Überlieferung ihrer Idee beigetragen.
4. Stanislaw Lem: “Kyberiade”
Die folgende Analyse orientiert sich an einer von Lem autorisierten deutschsprachigen Übersetzung, die 1983 vom Insel-Verlag herausgegeben wurde. Sieben der insgesamt fünfzehn Fabeln 8 erscheinen darin erstmalig in deutscher Sprache; die anderen wurden durchgesehen, eine neu übersetzt. Die Orginalausgabe “ Cyberiada ” erschien 1965 in Kraków. Zur besseren Übersicht wird im Anhang eine Übersicht über die Fabeln eingefügt.
Die “ ‘Robotermärchen ” sind die literarischen Vorläufer zu “ Kyberiade “. Bei ihnen wird schon im Titel angesprochen, was auch hier gilt: die Verwandtschaft von Märchen und SF (vgl. 4.1.).
Die Fabeln variieren in ihrer Komplexität; manche sind einfache Anekdoten, andere behandeln (sophistisch) philosophische Hypothesen über Ontologie, Metaphysik und Epistemologie. Zu den letzteren gehört die “ Experimenta Felitiologica ” (15. Fabel), die man als die Kernfabel betrachten kann und die daher in
4. 4. gesondert betrachtet werden soll.
Die Idee einer technologischen Evolution entwickelte Lem bereits in dem Roman “ Die Unbesiegbare “, dort steht aber noch der Mensch im Vordergrund, der sich mit einem kybernetischen Bewußtsein undefinierter Art auseinandersetzen muß 9 . Von diesem Anthropozentrismus (wie man ihn auch bei Wiener findet) wendet sich Lem in “ Kyberiade ” ab.
1950 erschienen in den USA drei Werke, die das Verhältnis von Mensch und Maschine entscheidend veränderten und an denen sich Lem später orientiert hat, sobald sie in Polen zu erwerben waren:
1. der Mathematiker M. A. Turing veröffentlichte “Computing Machinery and Intelligence “, die das Verständnis der Maschine als “technischem Sklaven” zu einer Akzeptanz als dem Menschen beigeordnete Intelligenz wandelte 10 ,
2. der Mathematiker Norbert Wiener prognostizierte in seinen Werken über Kybernetik 11 , daß die Maschine ein Verbündeter des Menschen im heroischen, aber hoffnungslosen Kampf gegen das universelle Chaos sein wird,
3. der Biochemiker Isaak Asimov publizierte seine Kurzgeschichtensammlung “I, Robot”, in der die Roboter oft menschlicher erscheinen als die Menschen selbst; Lem verweigert allerdings den berühmten “Drei Gesetzen der Robotik” 12 Asimovs den Gehorsam:
“Denn intelligent sein, (Kommasetzung nach Orginal, AA.) heißt soviel wie: seine eigene bisherige Programmierung durch bewußte Willensakte, dem aufgestellten Ziel entsprechend, abändern zu können. Somit kann ein ‘Roboter’ für alle Ewigkeit für den Menschen vollkommen ungefährlich bleiben, aber dann muß er auch gewissermaßen dumm sein.” (Lem in: Barmeyer 1972, S. 170/171) 13
Die Verständigung über künstliche Intelligenzen ist verwandt mit der Suche nach dem Kontakt mit “fremden Intelligenzen” in anderen Romanen Lems: bei beiden entsteht der Eindruck, daß in der Gegenüberstellung mit dem “Anderen” die Katharsis des Menschen erreicht werden soll. In “ Solaris ” und vielen anderen Romanen ist es der Protagonist, der dem “Alien” begegnet, in “ Kyberiade” ist es der Leser selbst.
Ein kybernetisches Zeitalter ist angebrochen. Die Protagonisten der Fabeln, Trurl und Klapauzius, sind allmächtige Konstrukteure und Erfinder, Träger der “Diplome zur
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