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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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geistige Funktionen (wie Zählen oder die Bereitschaft zum Sprechen) ausführen.
    Zuerst muss man allgemein festhalten, dass jede Tätigkeit, die vom Gehirn ausgelöst und gesteuert wird (andere Tätigkeiten gibt es in unserem Körper kaum, überdies sind auch sie, wie z.B. die immunologische Regulierung der Widerstandskraft gegen die Invasion von Krankheitserregern, vom Gehirn - oder eher vom Zentralen Nervensystem samt dem Mark - abhängig), buchstäblich aus der Kooperation der verschiedenen kortikalen und neuronalen Areale hervorgeht, wobei es in der Regel um eine Zusammenarbeit geht, die sehr kompliziert ist - sogar bei der Ausführung von einfachsten Tätigkeiten. Wenn wir zum Beispiel ein Billardspiel beobachten, sehen wir einen Hintergrund (das Innere des Zimmers oder des Saals, eine mit grünem Stoff bedeckte Fläche des Billardtisches) sowie, sagen wir, die zwei letzten Billardkugeln, von denen, je nach den Spielregeln, die weiße Kugel die andere rote stoßen oder in ein Loch in der Tischecke befördern soll. Die gesamte Situation nehmen wir als Ganzheit war. Alles, was ich zuvor beschrieben habe, erscheint uns, zusammen mit den beispielsweise fragmentarisch wahrgenommenen Körpern der Spieler, untrennbar miteinander verbunden zu sein, da wir nicht den Eindruck haben, dass unsere Beobachtung ein im Gehirn ausgeführtes und dynamisch sich ständig verändertes Puzzlespiel darstellt. In Wirklichkeit geschieht aber eine Vielfalt von Gehirnaktivitäten, wie dies manche Ausfallerscheinungen zeigen, die z.B. verursachen, dass wir Farben nicht mehr sehen können und wir deshalb alles nur Schwarzweiß wie auf einem alten Film wahrnehmen.
    Es hat sich herausgestellt, dass die Farbenwahrnehmung von einem optischen Zentrum in einer Großhirnhemisphäre gesteuert wird, dass die stereoskopische (dreidimensionale) Wahrnehmung eine ziemlich komplizierte Zusammenarbeit der Seh-und der umliegenden Zentren der beiden Gehirnhemisphären erfordert, dass die Impulse “unterwegs” auf dem neuronalen Weg von den
    Netzhäuten beider Augen über “zentraler” gelegenen Stellen zu einer “Rangierkreuzung” (chiasma opticum) sich bewegen, wodurch sogar der einfachste Sehakt einen zusammengesetzten Charakter besitzt. Wir wissen aber aus Erfahrung, dass man bewusst (das ist die Norm) sehen kann, aber dass man auch etwas wahrnehmen kann, ohne uns dessen bewusst zu werden. Auch mit der Wahrnehmung der Bewegungen der Billardkugeln sind unterschiedliche Neuronengruppen beschäftigt. Alles baut sich also aufeinander auf, und das so gekonnt, dass wir keine Ahnung hätten, was in unserem Kopf vor sich geht, ohne davon unabhängige Experimente durchzuführen.
    Unlängst konnte man feststellen, dass Personen, die mehrere Sprachen beherrschen (oder Dialekte derselben Sprache), Systeme “verwenden”, die ich “Neuronenhaufen” - in Analogie mit den Ameisenhaufen, da immer Tausende von Neuronen miteinander kooperieren - nenne und die in ganz verschiedenen Gehirnbereichen platziert sind. Darüber hinaus weiß man, dass über die Charakterstruktur hauptsächlich die Innenflächen der Stirnlappen entscheiden und dass die Stirnlappen selbst mit der “Erzeugung” von Zielen und Wünschen beschäftigt sind. Am Rande füge ich hinzu, dass man vor kurzem bei Schimpansen, die weder Sprache benutzen noch sie erlernen können, im linken temporalen Bereich der Gehirnrinde Neuronenverdichtungen entdeckt hat, wo sich ca. fünf Millionen Jahren später beim Menschen ein Sprachzentrum ausgebildet hat: das Brocasche Zentrum. Wie und warum dies damals geschehen und warum es bei den Schimpansen auf dem Entwicklungsweg stehen geblieben ist, weiß man allerdings nicht.
    Ich erlaube mir jetzt ein Zitat aus meiner 1962-63 geschriebenen “Summa der Technologiae” anzuführen: “Eine elektrische denkende Maschine kann man aus einzelnen Bausteinen zusammensetzen, die gewissermaßen den Hirnwindungen entsprechen. Jetzt trennen wir die Blöcke und verteilen sie auf der ganzen Erde, so dass sich der erste in Moskau, der zweite in Paris, der dritte in Melbourne, der vierte in Yokohama usw. befindet. Voneinander getrennt sind diese Blöcke “psychisch tot”, aber verbunden (z.B. mittels Telefonkabel) würden sie zu einer integralen “Persönlichkeit” oder zu einem “denkenden Homöostat” werden. Das Bewusstsein einer solchen Maschine befindet sich natürlich weder in Moskau, noch in Paris oder in Yokohama, jedoch in einem potentiellen Sinn in jeder von

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