Im Informationszeitalter
Spezialisierung zum Vorschein, wenn Banken mit Banken, Universitäten mit Universitäten, Fernsehsender mit anderen Stationen usw. kommunizieren. Gleichzeitig müssen die Adressabkürzungen der einzelnen Internauten immer länger werden. Erschreckend, wie lang sich die
Adressen erweisen werden, wenn das Netz die allseitige Kommunikation von Milliarden von Absendern und Empfängern leisten muss.
Zur Zeit sind die Wachstums-, Kampf- und Wettbewerbsprozesse im vollen Gange. Ich wage nicht, vorherzusagen, ob das Netz in 100 Jahren nicht unser Hauptfeind und vielleicht unser Killer, wie bereits die weltweite Motorisierung, sein wird. Man weiß gut, dass die Menschen mit dem einverstanden sind, wozu sie Lust haben oder was sie als Notwendigkeit betrachten. Mehr Amerikaner starben in den USA bei Verkehrsunfällen als während des Vietnamkrieges. Der Soldatentod erweckte jedoch Verzweiflung und Abscheu, dagegen werden die Opfer von Verkehrsunfällen von Niemandem außer den Familien beweint. Dieser Vergleich scheint vielleicht pathetisch, ist jedoch nichts anderes als eine Zusammenfassung von Fakten, die die Welt in Bewegung gesetzt und beschleunigt haben und die mit uns in eine ungewisse Richtung dahineilen. Selbstverständlich ist es am einfachsten, die Angelegenheit mit einem neuen Namen zu verdecken: das einundzwanzigste Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Informatik sein. Diese Bezeichnung erklärt jedoch nichts. Wir wissen nicht, ob sich der elektronische Moloch als ein mit der Technologie gebauter Baum der Erkenntnis erweisen wird, von dem uns die Bibel auf eine technologielose Weise erzählte.
Das Internet und die Medizin
Stanislaw Lem 21.04.2001
Können mehr Informationen die Intuition und die eigene Wahrnehmung ersetzen?
Der Arztberuf in Person eines sogenannten Doktors der Allgemeinmedizin umfasste vor ungefähr einhundert Jahren in den damals führenden Ländern oder den wohlhabenden Staaten den gesamten Menschen. Die Aufteilung in Fachgebiete begann damals erst. Die Aufteilung in Therapeuten, die nach dem Messer fassen (Chirurgen), und diejenigen, die es meiden, stellte eine der ersten derartigen Abgrenzungen dar. Langsam kamen solche Fachgebiete wie Geburtshilfe, Psychiatrie, Pädiatrie, Neurologie auf; und hinter ihnen zog sich wie ein noch ziemlich bescheidener vervielfachter Kometenschweif der Bereich der
Nebenforschungen. Um die Mitte unseres Jahrhunderts begann sich die Anzahl ärztlicher Fachgebiete zu vergrößern.
Nachdem der damalige Hausarzt, ein sogenannter Allroundman, oft ein Freund des Hauses, alle Familienmitglieder von den Babys an bis zu den Urgroßeltern betreute, folgte eine Periode, die man kollektive Spezialisierung nennen könnte. Sie bestand darin, dass man in den Fällen, die klar nach gutem Fachwissen verlangten, über welches der Allroundman möglicherweise nicht verfügte, eine Beratung beim Krankenbett arrangierte. Das Ergebnis fiel unterschiedlich aus. Manchmal wetteiferte ein Chirurg, der sich mit einem scharfen Eingriff in den kranken Organismus einschalten wollte, mit einem präventiv handelnden Internisten.
Die Erweiterung der zusätzlichen Untersuchungen hat die immer üppiger technologisch ausgestatteten Labors geschaffen.
Heutzutage lässt sich der Arzt nicht mehr in das scherzhafte Schema der Militärmedizin einordnen, nach dem man sprichwörtlich Abführmittel, kalte oder heiße Umschläge (meistens aus Graupen) gab. Oder die Diagnose lautete nach dem bündigsten Spruch: bis zum vierzigsten Lebensjahr dementia praecox, und danach dementia senilis. Nach dem Durchbruch der Elektrokardiographie erfolgte nach der ersten Dichotomie (Elektrokardiographie -
Enzephalographie) eine starke Vermehrung ihrer Anwendungsmöglichkeiten. Hinzu kamen
mikroskopische also histologische und elektrophysiologische Untersuchungen sowie die Differenzialdiagnostik, die zu einer so stark ausgebauten Domäne wurden, so dass es bereits unmöglich schien, das gelernte und praktizierte medizinische Wissen in einem Arztkopf zu fassen.
Wie dies gewöhnlich mit dem Fortschritt ist, hat er eine helle und eine dunklere Seite. Kaum eine Krankheitseinheit kann mehr ohne eine Auswahl von Zusatzuntersuchungen auskommen. Einerseits wird der Arzt dadurch unterstützt, andererseits beginnt er, seine fachliche Aufmerksamkeit auf ein isoliertes Körpersystem zu konzentrieren. Deswegen kommt es vor, dass die Behandlung eines Körperteils die organische
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