Im Innern des Wals
werden. »Und worüber willst du schreiben, lieber Junge?«
fragt die Tante. »Liebe Tante«, erwidert er in vernichtendem Ton, »man schreibt nicht über etwas, sondern man schreibt einfach.«
Die besten Schriftsteller der zwanziger Jahre waren nicht
dieser Auffassung. Ihr Ziel war in den meisten Fällen ziemlich deutlich zu erkennen und lag mehr auf einer
moralischkulturellreligiösen Linie. In gewisser Weise ist die Tendenz aller Mitglieder dieser Gruppe konservativ. Lewis zum Beispiel verbrachte Jahre damit, überall Bolschewismus zu
wittern, den er an den unmöglichsten Stellen aufspürte. In jüngerer Zeit hat er einige seiner Anschauungen geändert,
vielleicht beeindruckt von Hitlers Verhalten Künstlern
gegenüber, aber man kann unbesorgt sein, er wird nicht zu weit nach links geraten. Pound scheint endgültig auf den Faschismus hereingefallen zu sein, jedenfalls auf die italienische Spielart.
Eliot hat sich nach keiner Seite gebunden, aber mit
vorgehaltener Pistole vor die Wahl zwischen Faschismus und einer mehr demokratischen Form von Sozialismus gestellt,
würde er sich vermutlich für den Faschismus entscheiden.
Huxley startet mit der üblichen Verzweiflung am Leben,
versucht dann aber, unter dem Einfluß von Lawrences
»schwarzen Eingeweiden« etwas, was man als »Anbetung des
Lebens« bezeichnet hat, und landet schließlich beim Pazifismus
- eine vertretbare und in diesem Augenblick sogar ehrenvolle
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Haltung, die aber auf lange Sicht zu einer Ablehnung des
Sozialismus führen dürfte. Weiter ist bemerkenswert, daß die meisten Schriftsteller dieser Gruppe eine Neigung zur
katholischen Kirche haben, wenn auch meist in einem Sinn, den ein orthodoxer Katholik nicht akzeptieren würde.
Die geistige Verwandtschaft zwischen Pessimismus und
Reaktion liegt zweifellos offen zutage. Aber es ist vielleicht weniger deutlich, warum die führenden Schriftsteller der
zwanziger Jahre vorwiegend pessimistisch dachten. Warum
stößt man fortgesetzt auf die Vorliebe zur Dekadenz? Zu
Totenschädeln und Kakteen, Klagen um den verlorenen
Glauben, Sehnsucht nach nicht zu realisierenden Zivilisationen?
War es vielleicht deshalb, weil sie alle in einer sehr
komfortablen Zeit schrieben? Gerade dann floriert diese
»kosmische Verzweiflung«. Leute mit leerem Magen
verzweifeln nicht am Universum, ja, sie denken nicht einmal über das Universum nach. Der ganze Abschnitt zwischen 1910
und 1930 war eine Periode des Wohlstands, und selbst die
Kriegsjahre waren physisch erträglich, wenn man das Glück
hatte, als Nicht-Kämpfer in einem der Länder der Alliierten zu leben. Besonders die zwanziger Jahre waren das Go ldene
Zeitalter der intellektuellen »Rentiers«, eine Periode der Verantwortungslosigkeit, wie sie die Welt nicht erlebt hatte bisher. Der Krieg war zu Ende, die neuen totalitären Staaten noch nicht in Erscheinung getreten, irgendwelche moralischen und religiösen Tabus gab es nicht mehr, und das Geld rollte.
»Desillusion« war Mode. Jeder mit festen 500 Pfund im Jahr zählte sich zur Intelligenz und begann sich im »taedium vitae«
zu üben. Es war die Epoche der Zehndollarstücke und der
weichen Birnen, der billigen Verzweiflung, der Hinterhof-
Hamlets, der ermäßigten Rückfahrkarten zum Ende der Nacht.
In einigen der zweitrangigen, charakteristischen Bücher, wie Told by an Idio (von Rose Macaulay, ersch. 1923) , erreichte die Verzweiflung-am- Leben-Stimmung die Atmosphäre eines
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Türkischen Bades in Selbstmitleid. Und die besten Schriftsteller der Zeit kann man einer zu olympischen Haltung überführen, einer zu großen Bereitwilligkeit, angesichts der praktischen Zeitfragen, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Sie betrachten das Leben durchaus umfassend, weit mehr als alle ihre
unmittelbaren Vorgänger und Nachfolger, aber sie sehen es wie durch ein umgekehrtes Fernrohr. Das beeinträchtigt den Wert ihrer Bücher keineswegs. Der Prüfstein jedes Kunstwerks ist das Überleben, und es ist eine Tatsache, daß ein Großteil dessen, was in der Zeit von 1910 bis 1930 geschrieben worden ist, noch heute lebt und allem Anschein nach auch noch länger fortleben wird. Man braucht nur an Ulysses zu denken, an Of Human Bondage (Des Menschen Hörigkeit von Somserset Maugham, ersch. 1915) , an die meisten frühen Schriften von Lawrence, besonders an seine Kurzgeschichten, und praktisch an alle
Gedichte von Eliot bis etwa um 1930, um sich zu fragen, was vom gegenwärtigen
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