Im Interesse der Nation
inzwischen ein Telefongespräch mit seiner Tochter hinter sich gebracht; er hatte vor einiger Zeit versprochen, zu einem ihrer wichtigsten Handballspiele in diesem Frühjahr zu kommen, und jetzt in unbestimmten Worten zu erklären versucht, daß die Angelegenheiten des Staates gerade zu diesem Zeitpunkt seine Anwesenheit unmöglich machten. Das hatte er ihr zwar auch schon früher gesagt, auch bei weniger wichtigen Anlässen, doch jetzt hatte er auch deswegen so etwas wie ein rückwirkend schlechtes Gewissen.
Die Diskussion mit seinen drei engen Mitarbeitern war zumindest in einer Hinsicht erfreulich gewesen -, sie hatte ergeben, daß sich die ungeheuren Schwierigkeiten am politischen Horizont sehr scharf abgezeichnet hatten. Es war ein gutes Team gewesen, um die Probleme anzupakken. Der Außenminister mit seiner wohlabgewogenen Mischung aus allgemeiner menschlicher Vernunft und langer politischer Praxis, Peter Sormans gewaltige außenpolitische Erfahrung und sein ungeheures Wissen, die Gabe seines eigenen Staatssekretärs, sämtliche Fäden einer Diskussion im Kopf zu behalten und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, und schließlich - so stand zu hoffen - seine eigene Gabe, Gegensätze auszugleichen.
All dies war nötig. Sie hatten beschlossen, bis auf weiteres keine weiteren Personen in die Diskussion einzubeziehen, zumindest nicht in diesem frühen Stadium, in dem noch längst keine Einigkeit erzielt war. Für einige Zeit würde es also eine interne verteidigungspolitische Diskussion ohne Verteidigungsminister geben, was später möglicherweise zu einigem Gemaule führen würde.
Aber das ließ sich nicht vermeiden. Der Verteidigungsminister war viele Jahre lang zwar ein tüchtiger und tatkräftiger Gewerkschaftsvorsitzender gewesen, doch seine außenpolitische Brillanz ließ sich durchaus in Frage stellen - der Ministerpräsident verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen -, und überdies war das Vertrauen des Generalstabs in diesen Mann gelinde gesagt begrenzt. Es wurde allgemein davon ausgegangen, daß er vor allem wegen seiner uneingeschränkten Fähigkeit, dem früheren Ministerpräsidenten zu gehorchen, zum Verteidigungsminister ernannt worden war. Der letzte Regierungschef hatte ihn wohl hauptsächlich ernannt, um bei verteidigungspolitischen Themen Widerspruch zu vermeiden, möglicherweise auch, um den Militärs das Leben sauer zu machen.
Vermutlich würde die politische Führungstruppe später ausgewählte Teile der militärischen Führung zu sich bitten müssen, um endgültige Richtlinien zu erarbeiten. Dann war das Militär kraft seiner Sachkenntnis als Ratgeber gefragt, jedoch allein in dieser Funktion.
Beschlüsse konnten nur von der Regierung des Landes gefaßt werden.
Doch bis dahin war noch ein langer Weg, waren noch viele Überlegungen nötig. Die politischen Alternativen mußten sorgfältig durchdacht werden, bevor man die Militärs an der Diskussion beteiligte.
Im Verlauf des Abends hatten die Männer, die jetzt allein die demokratische Verantwortung für die tatsächlich vorliegende, in der Öffentlichkeit jedoch unbekannte Krisensituation trugen, die Diskussion auf vier Möglichkeiten eingeengt, von denen jede für sich Risikomomente und Unsicherheiten in sich barg.
Erstens konnte man den Botschafter der Sowjetunion einbestellen, auf diplomatischem Wege protestieren und einen sofortigen Rückzug sowjetischer Streitkräfte und Einrichtungen von schwedischem Territorium fordern. Man konnte möglicherweise betonen, der diplomatische Protest und dessen Inhalt könnten in Schweden geheimgehalten werden, wenn man die Angelegenheiten in aller Stille regle. Die Russen waren ja für ihre Publizitätsscheu bekannt.
Auf den ersten Blick konnte das als die geeignetste, klügste, vorsichtigste und verantwortungsbewußteste Möglichkeit erscheinen.
Sie barg jedoch die Gefahr, daß die sowjetische Seite sich als völlig verständnislos erwies und alle »antisowjetischen« oder »unfreundlichen« Unterstellungen empört zurückwies.
Dann würde eine sehr unsichere Situation entstehen. Alle weiteren Optionen würden sich im Fall eines Mißerfolgs als höchst riskant erweisen.
Der Ministerpräsident hatte zunächst angenommen, daß es den Russen schwerfallen würde, eine derart knochenharte Haltung einzunehmen, da schließlich Beweise vorlagen, sowohl in Form von Angaben ihres eigenen Überläufers als auch durch die Erkenntnisse schwedischen Personals vor Ort.
Peter Sorman hatte überzeugend
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