Im Interesse der Nation
Untergebenen auf ihren Stühlen herumrutschten und warteten. Er hatte ein großes Dienstzimmer, wie es ihm als Residenten zustand. An der Längswand gegenüber den Fenstern mit der zweifelhaften Aussicht auf Svenska Dagbladet hingen einige große Karten und Seekarten der nächsten Umgebung Stockholms. Auf den Seekarten waren die geheimen militärischen Fahrrinnen mit blauen Linien bezeichnet, genau wie auf den geheimen schwedischen Original-Seekarten. Zwischen den Karten und den Seekarten hing ein Porträt in Öl aus der Zeit um 1800. Es hatte einen Goldrahmen und trug eine Namensplakette, die den Namen des adligen Marineoffiziers in kyrillischen Buchstaben nannte: Admiral Wassilij Jakowlewitsch Tschitschagow, 1726-1809, ein Mann, der für seine Zeit offenbar ein hohes Alter erreicht hatte.
Jurij Tschiwartschews Vorgänger als Resident war etwas konventioneller gewesen und hatte am entsprechenden Platz Jurij Andropow hängen gehabt. Keiner von Tschiwartschews Untergebenen hatte sich erdreistet zu fragen, welche Exzentrizität oder Arroganz Tschiwartschew dazu gebracht habe, einen alten russischen Seehelden an einem Platz aufzuhängen, der der politischen Führung zustand.
Hätte jemand gefragt, hätte er zudem keine aufrichtige Antwort erhalten.
Plötzlich fuhr Oberst Tschiwartschew herum und fixierte seinen untergebenen General.
»Nun, mein lieber Michail Tscherentschewitsch, welche operativen Vorschläge haben Sie mir zu machen?« fragte er mit scharfer Stimme.
»Genosse Resident«, räusperte sich der Generalmajor nervös, »die Lage ist ernst. Allerdings hat sie auch ihre lichteren Seiten. Wir haben Gennadij Alexandrowitsch zwar nicht orten können, doch scheint er den Schweden auch nichts von Bedeutung gesagt zu haben.«
»Worauf gründen Sie diese Spekulation?« fragte Jurij Tschiwartschew, wobei er das Wort »Spekulation« überdeutlich betonte.
»Nun ja, Genosse Resident, einerseits glauben wir nicht, daß die schwedische Regierung auf Beratungen in Sachen Gennadij Alexandrowitsch verzichtet hätte, wenn dieser etwas Wichtiges geäußert hätte. Andererseits fällt es schwer zu glauben, daß die schwedischen Militärs es wagen könnten, solche Erkenntnisse für sich zu behalten. Das ist nicht ihr Arbeitsstil.«
Jurij Tschiwartschew drehte eine neue Runde durch das Zimmer. Die Äußerung seines Generalmajors war einigermaßen logisch. Das mußte er zugeben. Doch war es ein ernster Fehlschlag, daß man Gennadij Alexandrowitsch noch nicht geortet hatte, und es war geradezu unerklärlich, daß bei der schwedischen Sicherheitspolizei in dieser Hinsicht nichts zu holen war.
»Ich habe mir etwas überlegt, Michail Tscherentschewitsch, und möchte dazu Ihre aufrichtige Meinung hören. Nicht Ihre verängstigte Meinung, weil Sie glauben, man werde Sie nach Hause schicken, was durchaus möglich ist, sondern Ihre aufrichtige Meinung. Verhält es sich vielleicht so, daß die schwedische Sicherheitspolizei ganz einfach nicht weiß, wo sich Gennadij Alexandrowitsch aufhält, was erklären würde, weshalb unsere Kontaktleute dort so unwissend sind?«
Der Generalmajor schluckte sichtlich, bevor er antwortete.
»Ja, Genosse Resident, das ist eine Möglichkeit, die auch uns eingefallen ist. Es wäre unleugbar ein intelligenter Schachzug.«
»Und wenn das Militär ihn hat - wo hält es ihn dann fest? Vielleicht in der Marinebasis Berga, wo unser Freund Hamilton offensichtlich gewesen ist? Nun, Michail Tscherentschewitsch, was halten Sie von dieser Möglichkeit?«
»Nein, Genosse Resident. Es ist zwar interessant, daß Hamilton draußen in Berga gewesen ist, aber ich halte es für unwahrscheinlich, daß sie Gennadij Alexandrowitsch in einer Marinebasis gefangen halten. Ich meine, dann würden allzu viele davon wissen, und den Schweden liegt ja sehr an der Geheimhaltung. Ich meine, sie wollen um jeden Preis die Geheimhaltung wahren, die wir penetrieren wollen.«
Jurij Tschiwartschew lächelte über die Nervosität seines Untergebenen, obwohl er sie für durchaus berechtigt hielt. In einer anderen Situation hätte man Michail Tscherentschewitsch schon längst nach Hause geschickt.
»Ich teile Ihre Auffassung, Michail Tscherentschewitsch. Darf ich auch darauf hinweisen, daß der Begriff ›gefangen halten‹ bei Gennadij Alexandrowitsch bedauerlicherweise nicht ganz korrekt ist?«
»Ja, verzeihen Sie, Genosse Resident.«
»Keine Ursache. Sie haben vielleicht recht. Vielleicht hat er keine Lust zu singen, und die
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