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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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vor: eine Schmuckschatulle in rotem Leder, ein in polnischer Sprache geschriebenes Tagebuch und ein Fotoalbum.
    Er legte das Tagebuch beiseite, nachdem er besorgt festgestellt hatte, daß es, was ihn betraf, aktuell genug war. Dann blätterte er eine Zeitlang in dem Fotoalbum. Er sah lauter unbekannte Menschen und wußte, daß von ihm kein Bild dabeisein konnte. Einer der lächelnden Männer konnte ihr früherer Mann sein. Sie stand auf einem Segelboot. Der Hintergrund erinnerte an die Stockholmer Schären, ja, tatsächlich, das Großsegel trug schwedische Bezeichnungen. Und neben ihr stand ein Mann, der eher schwedisch als polnisch aussah. Vermutlich war es Adamsson.
    Andere Bilder der Toten hatten mit ihrer Vergangenheit in Polen zu tun. Der Täter riß vier Fotos mit polnischen Motiven heraus und hinterließ einige Spuren, die sichtbar machen sollten, daß die Bilder herausgerissen worden waren. Er legte die Fotos neben das Tagebuch, das er mitzunehmen gedachte, und leerte dann die Schmuckschatulle aus. Er rührte jedoch nichts an. Den Wert ihres Schmucks schätzte er auf mindestens 50000 Kronen, doch wahrscheinlich lag er höher.
    Sonst schien in dem streng und geschmackvoll möblierten Arbeitszimmer nichts von Interesse zu sein, obwohl er noch eine weitere Stunde dem Legen falscher Spuren widmete. Als er das Arbeitszimmer mit dem Tagebuch und den Fotos verließ, machte er das Licht nicht aus. Dann ließ er sich erneut in den weißen Ledersessel fallen und ging im Kopf noch einmal alles durch.
    Jetzt führten die Spuren nach Polen, in die Vergangenheit der Toten. Das einzige Motiv, das sich ausschließen ließ, war ein Raubüberfall. Das entsprach nicht seiner Absicht. Der Täter überlegte zwar, ob er ihren gesamten Schmuck vielleicht mit Ausnahme eines vergessenen Rings an sich nehmen und ihn in das schwarze Flüßchen vor dem Haus werfen sollte. Es widerstrebte ihm jedoch. Die Tote hatte einen Sohn, der bei seinem Vater in der Nachbarstadt lebte und sie eines Tages beerben würde. Teile des Schmucks waren offenkundig ältere polnische oder deutsche Arbeiten, die Erbstücke sein mußten. Sie hatte das einmal beiläufig erwähnt. Nein, so wollte er sich nicht verhalten.
    Also kein Raubmord und kein Sexualverbrechen. Blieben noch Möglichkeiten, die mit ihrer polnischen Vergangenheit zu tun hatten. Das Morddezernat und vermutlich auch die Beamten des Reichskriminalamts würden eine ungeheuer komplizierte Arbeit darauf verwenden, herauszufinden, welche Fotos in solcher Hast herausgerissen worden waren, als er das Gesuchte gefunden hatte.
    Sie hatte also ihren Mörder gekannt und ihn deshalb in die Wohnung gelassen, denn im Wohnzimmer standen zwei Weingläser und eine ausgetrunkene Flasche, die auf den Fußboden gefallen war. Auf der Weinflasche und dem einen Weinglas, das jemand sorgfältig abgewischt hatte, gab es keine Fingerabdrücke. Auf dem anderen Glas nur die Fingerabdrücke der Toten.
    Der Täter stand auf und ging zu der umgestoßenen Stehlampe, der einzigen Beleuchtung des Raums, setzte den Fuß auf den Schirm und zertrat ihn. Dann blieb er lange in der Dunkelheit sitzen und versuchte, an nichts zu denken. In der Dunkelheit fühlte er sich geborgener.
    Nachdem im Haus kein Geräusch mehr zu hören war, ging er in den Flur, zog sich den Mantel an und vergewisserte sich, daß er das Messer zusammen mit dem Tagebuch und den Fotos in die Manteltasche gesteckt hatte. Nein, er hatte nichts vergessen.
    Bevor er die Wohnungstür öffnete, rieb er den Türgriff mit seiner behandschuhten Hand ab und ging dann in die Dunkelheit hinaus. Er schaltete die Treppenhausbeleuchtung nicht ein und wiederholte im Dunkeln die gleiche Prozedur am Außengriff der Wohnungstür. Er drückte leise die Tür zu, ließ das Sicherheitsschloß einschnappen, ging dann langsam und vollkommen leise die Treppe hinunter und trat durch die Tür auf die Straße. Es schneite.
    Seine Fußspuren würden in einer halben Stunde nicht mehr zu sehen sein, und den Wagen hatte er mehrere hundert Meter entfernt auf der anderen Seite der Brücke geparkt. In den Fassaden auf der anderen Seite waren immer noch einzelne Fenster erleuchtet. Es war jedoch so gut wie ausgeschlossen, daß jemand ihn zufällig sehen würde, und selbst wenn es wider Erwarten geschähe, würde dieser Jemand nur einen etwas mehr als mittelgroßen Mann in einem dunklen Mantel und ohne Kopfbedeckung sehen, der ohne sonderliche Eile seiner Wege ging. Zudem würden mehrere Tage

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