Im Jahre Ragnarök
muss. Der morgige Tag wird der erste Tag des Jahres Ragnarök sein!«
Himmler hatte den letzten Satz kaum vollendet, da sprangen die Offiziere von den Stühlen auf und brachen in einen Sturm von Heil-Rufen aus. Tubber wollte unwillkürlich einen Schritt zurückweichen, stieß aber mit dem Rücken gegen die Wand. Er sah die glühenden Augen der Männer, die sich in einen Taumel der Begeisterung hineinsteigerten und aus weit aufgerissenen Mündern immer wieder Heil schrien. Aus dem anfänglichen Durcheinander sich überlagernder Stimmen kristallisierte sich schnell ein einheitlicher Takt heraus, bis alle ihre Rufe gemeinsam ausbrachten, mit der Regelmäßigkeit machtvoller Hammerschläge.
Nur einer wollte sich nicht ins Bild allgemeiner Verzückung einfügen, oder zumindest schien es Tubber so: Pallasch stand zwar auch mit ausgestrecktem Arm und stimmte in die Rufe ein, doch da war kein Enthusiasmus in seinem Gesicht. War es Schrecken, Wut, Verwirrung? Oder eine Mischung aus alledem? Tubber hatte Schwierigkeiten, Pallaschs Reaktion zu deuten.
Er wandte seinen Kopf kurz zur Seite und schaute zu Dünnbrot. Der Kommissar stand unbewegt, den Blick starr nach vorne gerichtet. Nichts in seinen Zügen verriet seine Gedanken in diesem Moment.
Nach einer Weile kehrte langsam Ruhe ein. Himmler und Köhler verließen den Raum durch die Seitentür am Kopfende. Die Offiziere machten sich auf, um die Führung ihrer Einheiten zu übernehmen. Während sich der Saal leerte, kam Sperber sichtlich zufrieden auf Tubber und Dünnbrot zu.
»Nun, was sagen Sie zu Unternehmen Ragnarök?«, erkundigte er sich.
»Die Millionen, die Sie und Ihresgleichen umgebracht haben, reichen Ihnen wohl nicht«, stieß Tubber mit galligem Abscheu hervor. »Jetzt wollen Sie gleich die ganze Weltbevölkerung auf einen Schlag ermorden.«
Der SS-Major zog mitleidig die Augenbrauen zusammen. »Falsch, Leutnant.
Wir verhindern nur, dass diese Menschen je leben werden. Sie haben das Wesen unseres Vorhabens wohl noch nicht so recht erfasst.«
»Massenmord lässt sich nicht durch Wortklaubereien wegdefinieren«, beharrte Tubber dunkel.
Es bereitete ihm schmerzhafte Mühe, Selbstbeherrschung zu wahren, statt seine Wut und seinen Ekel dem SS-Offizier mit einem Ausbruch zornigen Brüllens einfach ins Gesicht zu schleudern.
Sperber zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie meinen. Kommen Sie mit, der Reichsführer will Sie sehen.«
Himmler und der Professor blickten von der Landkarte auf, die vor ihnen auf dem Tisch ausgebreitet lag, als der Sturmbannführer Tubber und Dünnbrot in die Bibliothek führte.
»Die Gefangenen, Reichsführer«, meldete Sperber.
»Ah, sehr gut.« Mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen ging Himmler auf sie zu. »Jetzt, da Sie die Größe und Tragweite unseres Vorhabens verstehen, stelle ich Sie vor die Wahl, ob Sie in unsere Reihen treten wollen.«
Tubber fixierte ihn finster. »Was könnten wir Ihnen bei diesem Vorhaben, wie Sie es nennen, schon nützen?«
»Mehr, als Sie vielleicht denken, Leutnant.« Der Reichsführer trat wieder an den Tisch und wies mit einer weit ausgreifenden Handbewegung über der Karte auf die östliche Mittelmeerküste. »Was Sie angeht, so sind Sie Experte für die Geschichte des Vorderen Orients. Sie kennen die Völker, die dort in alten Zeiten lebten, die damalige Topografie, die Wege und Hindernisse. Ihre Kenntnisse würden für uns von unschätzbarem Wert sein, wenn wir uns auf unseren Zug gen Norden begeben.
Von so großem Wert, dass ich dafür bereit bin, Sie in die Gemeinschaft des neuen Herrenvolkes aufzunehmen.«
Himmler wandte sich, ohne Tubber Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben, Dünnbrot zu. »Und was Sie betrifft, so würde ich unschätzbare Verantwortung in Ihre Hände legen.« Er deutete auf die Regale, die bis an die Decke reichten und in denen Hunderte von Büchern eng aneinandergedrängt standen. »All das wird nie existieren. Neben den Unmengen von wertlosem Schund und jüdischem Geschreibsel gehen uns auch die wahrhaft großen Werke der Literatur verloren. Doch Sie, Dünnbrot, werden uns all das ersetzen. Mit dem Wissen, das Sie in sich tragen, werden Sie die Grundlagen einer neuen Literatur erschaffen, die in sich nur das Beste und Wertvollste menschlichen Geistes vereint. Kommen Sie mit uns, und ich mache Sie zum Ersten Skalden unseres Ewigen Reiches! Sie werden in einem großartigen Epos, das noch in Jahrtausenden unsere Nachfolger in seinen Bann zieht, unsere Taten für die Ewigkeit
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