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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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ist sowohl äußerst ruppig als auch reichlich gewagt«, meinte Tubber missbilligend.
» Wo die Not drängt, da wird Tollkühnheit zur Klugheit. Oder wollten Sie noch länger mit diesem Schweinehund diskutieren?«
»Natürlich nicht.«
»Vielleicht hätten wir ihn wenigstens bis in die Nähe von Pirna bringen sollen.
Dann wäre er etwas eher in Dresden gewesen.«
Tubber warf angeekelt den von Speichel durchweichten Knebel fort; er hatte erst jetzt bemerkt, dass er ihn noch immer in der Hand hielt. »Und den Umweg in Kauf nehmen? Nein, wir müssen sehen, dass wir zur Talsperre kommen. Für den Fall, dass Smith querschießt oder einfach versagt, brauchen wir einen Rettungsanker. Im Ernstfall darf man nie alles auf eine Karte setzen, und schon gar nicht darf man sich auf andere verlassen.«
Er beförderte den Knebel mit einem gezielten Tritt in eine Schlammpfütze und ging mit Dünnbrot zurück zur Front des Lastwagens.

Im Licht der Vorderscheinwerfer brüteten Chantal und Greta über einer entfalteten Straßenkarte; auf einem Zettel hatten sie eine Reihe von Ortsnamen notiert, manche wieder durchgestrichen und mehrfach durch andere ersetzt.
»Haben Sie eine Route gefunden?«, wollte Tubber wissen.
»Krietzwitsch, Cotta, dann weiter nach Döbeln ... ja, ich denke schon. Aber das wird uns Zeit kosten.«
Zeit war in der Tat der kritische Faktor, der Tubber die meiste Sorge bereitete.
Doch im Unterschied zu den Nazis konnten sie es sich nicht leisten, auf dem kürzesten Weg in Richtung Harz zu fahren. Sie verfügten über einen Blanko-Passierschein mit Pattons Unterschrift, gewiss. Doch sich alleine auf dieses Dokument zu verlassen, wäre bodenloser Leichtsinn gewesen. Die amerikanische Militärpolizei suchte ohne jeden Zweifel nach dem gestohlenen Lastwagen, denn die zwei G.I.s waren bestimmt längst in Dresden angekommen und hatten mit ihrer Version des Vorfalls Meldung gemacht. Für Tubber bedeutete das, alle Strecken zu meiden, auf denen mit amerikanischen Patrouillen zu rechnen war.
Und das wiederum hieß, auf Pisten auszuweichen, die noch erbärmlicher waren als die restlos heruntergekommenen Hauptstraßen.
»Solange wir beizeiten an der Eckertalsperre sind, ist mir alles recht«, meinte Tubber, ohne seine Bedenken anklingen zu lassen.
Greta faltete die Karte zusammen. »Nun ja ... wenn uns der Zustand der Straßen keinen Strich durch die Rechnung macht, wenn wir keine Panne haben und unterwegs nicht auf Militärpolizei treffen – dann werden wir gegen elf Uhr vormittags dort sein. Nur ... was haben Sie dann vor? Wenn die Amerikaner nicht kommen, können wir doch unmöglich zu viert gegen tausend SS-Männer antreten.« »Das können wir in der Tat nicht«, pflichtete Tubber ihr bei. »Aber das Gerät steht unterhalb einer Staumauer. Und wir haben einen Lastwagen voll mit Sprengstoff.
Alles Weitere findet sich.«
»Beten wir, dass es sich wirklich findet«, meinte Chantal halblaut.
»Und beten wir, dass es jemanden gibt, der auf Gebete hört«, fügte Dünnbrot zweifelnd hinzu.
Sie stiegen in den Lastwagen. Dünnbrot übernahm das Steuer, ließ den Motor an und fuhr los. Weder er noch Chantal oder Greta erwähnten Tubber gegenüber, dass er tot gewesen war. Sie hatten die unausgesprochene Übereinkunft getroffen, es ihm nie zu sagen.
     

16. März, 3:25 Uhr, Halle an der Saale
    »Noch einer?«
Dünnbrot schüttelte den Kopf und nahm den Kanister Dieselöl entgegen, den Tubber ihm von der Ladefläche reichte. »Ich denke, das genügt.«
Sie hatten in den Ruinen von Halle einen Zwischenhalt einlegen müssen, da die Nadel der Tankuhr schon bedenklich nah an die Nullmarkierung gelangt war. Tubber, an die in Großbritannien herrschende strenge Rationierung von Sprit gewöhnt, war schockiert, mit welcher Maßlosigkeit der amerikanische Laster Gallone um Gallone des kostbaren Kraftstoffs verschlang. Dass sie reichlich Dieselöl mit sich führten, konnte seine Empörung über diese ungeheuerliche Vergeudung nur geringfügig dämpfen.
Er kletterte von der Ladefläche und trug gemeinsam mit Dünnbrot die Blechbehälter zum Tank an der Seite des Wagens. Der Deutsche schraubte den Deckel vom Einfüllstutzen und setzte die Öffnung des ersten Kanisters an. Aus dem Inneren des Tanks tönte hohles Plätschern.
Da es für Tubber nichts zu tun gab, ging er nach vorne zum Kühlergrill, wo die beiden Frauen auf der Stoßstange saßen. Chantal nahm gerade einen Zug von ihrer Zigarette; die Spitze leuchtete glimmend auf. Greta

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