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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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das natürlich im Alleingang, denn er konnte es sich nicht leisten, das Verdienst zu teilen. Es war vielleicht seine letzte Chance, und er würde sie nutzen. Nichts und niemand würde ihn davon abhalten können.
Dann aber wurde ihm plötzlich klar, dass er vor einem Problem stand: Er wusste nicht, an welchem Ort das Treffen zwischen dem unidentifizierten Toten und dem Mann mit dem merkwürdigen Tarnnamen Herkules Svensson stattfinden sollte. Das Datum, der genaue Zeitpunkt, alles das blieb wertlos ohne einen Hinweis darauf, wo in Kassel der eigentliche Treffpunkt war. Ernüchtert musste Tubber feststellen, dass er in einer Sackgasse steckte. Seine Hochstimmung war verflogen.
Die beiden Männer ließen den Schlieffenplatz hinter sich und gingen die Wilhelmshöher Allee hinab, die schnurgerade auf die Ruinen der Kasseler Altstadt zulief. Tubber dachte angestrengt nach, suchte nach einem Punkt, an dem sich vielleicht doch der Hebel zu weiteren Ermittlungen ansetzen ließ. Doch es war aussichtslos.
Irgendwo in den Trümmern dieser Stadt würde am übernächsten Tag um halb zehn Uhr vormittags der als Herkules Svensson bezeichnete große Unbekannte, der sicherlich alle offenen Fragen beantworten könnte, vergeblich auf den Toten vom Hohlestein warten. Nur wo?
Tubber ballte in den Manteltaschen die Fäuste und haderte stumm mit seinem Schicksal, das ihm einmal mehr einen Knüppel zwischen die Beine warf. Seine Stimmung wurde noch schlechter, als ihm die Reaktionen der wenigen Menschen auffielen, die ihnen unterwegs entgegenkamen. Zuerst bemerkte er es bei einer Frau, die einen leeren Handkarren hinter sich herzog. Kaum hatte sie ihn gesehen, so schien es Tubber, da verschwand die stumpfe Ausdruckslosigkeit aus ihrem knochigen Gesicht und wich angewiderter Verachtung. Gleich darauf beobachtete er denselben Effekt bei einem zerlumpten Einbeinigen auf Krücken und einem alten Mann, der in beiden Händen verbeulte Blecheimer mit Wasser schleppte. Zunächst nahm Tubber an, dass wieder einmal sein amerikanischer Militärmantel dafür verantwortlich sei; dann aber erkannte er, dass die zornigen Blicke der Menschen gar nicht auf ihn gerichtet waren, sondern auf den neben ihm gehenden Kommissar Dünnbrot.
»Die Leute scheinen eine Abneigung gegen Ihre Uniform zu haben«, bemerkte Tubber erstaunt.
Dünnbrot sah ihn von der Seite an und entgegnete ungerührt: »Und das wundert Sie?«
»Um ehrlich zu sein, ja. Der Ordnungsdienst sorgt doch wenigstens für etwas Sicherheit. Dagegen kann in einem Land, in dem sonst nichts mehr funktioniert, eigentlich niemand ernsthafte Einwände haben.«
» Will you ha' the truth an't? «, entgegnete Dünnbrot mit einem Zitat, das Tubber vage bekannt vorkam, das er aber auf die Schnelle weder einem Werk noch einem Schriftsteller zuordnen konnte. »Der OD, Herr Leutnant, war dafür zuständig, im Auftrag des Amtes für Verteilung und Versorgung bei den Bauern gewaltsam die Ernte zu beschlagnahmen und bei den Handwerksbetrieben drei Viertel von allem, was hergestellt wurde, entschädigungslos einzuziehen ... damals, als es noch Bauern und Handwerker gab. Und auf den Schwarzmärkten haben wir den Menschen das Wenige abgenommen, das sie noch besaßen, wenn sie es dort gegen etwas zu essen eintauschen wollten. Das ist mehrere Jahre her, sicher. Aber für die Leute sind nach wie vor alle, die diese blaue Uniform tragen, eine Bande erbarmungsloser Räuber, die andere Menschen ohne Gnade dem Hungertod ausliefern. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste.« Er zog durch die Nase Luft ein und fuhr dann fort, wobei er jede Silbe mit der schneidenden Präzision erzwungener Selbstbeherrschung aussprach: »Der Ordnungsdienst musste zu Beginn der fünfziger Jahre die Drecksarbeit für die Schocker erledigen. Das heißt die Menschen aus ihren Häusern zerren und auf Sammelplätzen zusammentreiben, damit die Schocker ihnen zu Tausenden Schnellbehandlungen mit Elektroschocks verpassen konnten. Viele sind daran gestorben, noch mehr wurden zu Wracks, zu sabbernden Schwachsinnigen.
Um nicht zu verhungern, haben wir uns zu Handlangern von Irren machen lassen.
Kapieren Sie jetzt, wieso man mich und alle anderen vom Ordnungsdienst zu Recht verabscheut?« Die letzten Worte hatte Dünnbrot mit unverschleiertem Selbsthass mehr ausgespuckt als gesprochen. Nun kniff er die Lippen so fest zusammen, dass das Blut aus ihnen wich, und blickte starr geradeaus.
Tubber sagte nichts. Die erste echte Gefühlsregung dieses Deutschen

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