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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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was Svensson zu ihm gesagt hatte. Dann erinnerte er sich, dass Smith ihm ja eine der Visitenkarten des Schweden überlassen hatte. Er holte sie hervor und betrachtete sie zum ersten Mal. Auf blütenweißen Karton waren in eleganten, zurückhaltenden Buchstaben einige schlichte Zeilen gedruckt:
    Ingmar Svensson
Antikvitetshandlare
Västerlånggatan 37
Stockholm
    »Antiquitätenhändler war er also«, reimte sich Tubber anhand seiner Deutschkenntnisse die Bedeutung der schwedischen Worte zusammen. »Und er hatte wohl schon öfters Geschäfte mit unserem Toten gemacht. Pallasch nannte er ihn, sagten Sie?«
»Otto Pallasch«, bestätigte Dünnbrot. Tubber steckte die Karte wieder ein und meinte dabei missmutig: »Schön und gut. Aber das ist zu nichts nutze. Wenn nicht dieser verdammte Captain Smith dazwischengekommen wäre, könnte ich Svensson jetzt verhören und etwas über Pallasch und seine möglichen Hintermänner in Erfahrung bringen. Aber nein, das wäre ja zu einfach gewesen. Stattdessen sitze ich wieder einmal fest!« Wütend trat Tubber im Vorbeigehen nach einem Stein, verfehlte ihn aber.
Sie gingen weiter, ohne ein Wort zu wechseln. Tubber grübelte darüber nach, wie er die Situation vielleicht doch noch retten könnte. Doch er fand keinen Ausweg aus dieser neuen Sackgasse. Und dass ihm abermals ein Zufall zu Hilfe kommen würde, erwartete er nicht. Er hatte das bedrückende Gefühl, als hätte er die ihm zugestandene Sonderration Glück sinnlos vergeudet.
Nach einer Weile erreichten sie eine kleine Burg, die so eigenartig aussah, dass Tubber für einen Moment von seinen deprimierenden Gedanken abgelenkt wurde und die merkwürdige Anlage bestaunte, die mit ihren Türmchen und Zinnen wie eine Miniaturausgabe einer der mittelalterlichen englischen Burgen aus den Romanen Sir Walter Scotts wirkte und die wohl nicht einmal annähernd so alt war, wie ihr Äußeres vortäuschen sollte.
Gerade ließ Tubber seinen Blick an den Basaltmauern mit den zerfallenden Ornamenten entlangwandern, als Dünnbrot sagte: »Warten Sie mal kurz, Herr Leutnant ... da ist irgendwas im Futter des Mantels.«
Sofort blieb Tubber stehen. »Was ist es? Sagen Sie schon!«
»Kann ich noch nicht sagen ... fühlt sich aber an wie ein gefaltetes Stück Papier.
Ich hatte es vorher nicht bemerkt, aber jetzt ist es an die Tasche gerutscht.«
»Worauf warten Sie noch? Holen Sie es raus, schnell!«, forderte Tubber ungeduldig.
Dünnbrot öffnete den Mantel und stülpte das Innere aller Taschen nach außen.
Es stellte sich heraus, dass der mürbe Stoff der linken Innentasche an der Naht aufgerissen war. Alles, was dort untergebracht wurde, musste unweigerlich im Mantelfutter verschwinden. Durch das Loch brachte Dünnbrot nun einen zweifach zusammengefalteten Bogen Papier ans Tageslicht, den er Tubber übergab. Es fiel dem Engländer schwer, die Ruhe zu bewahren, als er das Papier entfaltete.
»Nicht zu glauben«, flüsterte er überwältigt, nachdem er die ersten Zeilen zu Gesicht bekommen hatte. »Einfach nicht zu glauben.«
Vor sich hatte er eine Liste von fünfzehn kurzen, maschinengeschriebenen Absätzen, sauber untereinander aufgereiht. Bereits die ersten Einträge reichten aus, ihn in Staunen zu versetzen:
    BREUGHEL, Jan, d. Ä.
»Holländische Dorfgegend«
Akademie der Bildenden Künste, München CRANACH, Lucas, d. Ä.
»Bildnis Herzog Heinrichs des Frommen«
Gemäldegalerie Dresden
VAN DYCK, Anthonis
»Art des Danaë«
Staatliche Kunsthalle Kassel
    Viel wusste Tubber nicht über Kunst, aber ihm war klar, dass es sich um außerordentlich bedeutende Maler handelte und die aufgelisteten Gemälde vermutlich entsprechend wertvoll sein durften. Doch noch viel erstaunlicher als diese Aufzählung war das schwere Briefpapier, auf das man sie geschrieben hatte. Der vorgedruckte Briefkopf war so unglaublich, dass Tubber ihn mehrmals lesen musste, um sicherzugehen, dass er keiner Halluzination erlag:
    General of the Army George S Patton
Military Governor of U.S. Occupied Germany
    Mit manchem hätte Tubber gerechnet, doch nicht damit. Er war so überwältigt, dass er nicht einmal Einspruch erhob, als Dünnbrot herantrat und ebenfalls einen Blick auf das Papier warf.
»Das liest sich ja fast wie ein Bestellschein«, stellte der Deutsche verwundert fest.
»So ist es«, pflichtete Tubber ihm bei. »Und ich werde dem Herrn, der diese Bestellung aufgegeben hat, einen Besuch abstatten.«
     

10. März, kurz nach Sonnenaufgang
    Durch nachdrückliches Verweisen

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